Das Geheimnis der Äbtissin
Königin zog bei der Erwähnung der Kaisertochter eine Grimasse, doch nichts konnte Judith ihre Vorfreude verderben.
Aus den Beutestücken des Grafen hatte sie für alle Geschenke ausgesucht, selbst an Gerlind hatte sie gedacht, obwohl sie wusste, dass ihr Vater eine goldene Halskette für sie im Gepäck hatte. Sie sah sich um. Der Graf nickte ihr zu. Er ritt nur wenige Schritte hinter den beiden Frauen, dicht gefolgt vom Bischof. Dessen Blick mied sie sorgfältig. Sie war froh gewesen, dass sie nicht allein unter Konrads Führung die Alpen überqueren musste. Der Kaiser hatte Graf Ludwig reich belohnt und vorerst entlassen, und ihr Vater hatte mit der Abreise nicht gezögert, denn der Bau seiner Kirchen lag ihm sehr am Herzen. Im Tross befanden sich zwei Dutzend lombardische Steinmetze und Arbeiter, die Konrad angeworben hatte, weil sie für die Kunst des Mauerbaus bekannt waren. Die Heimreise der Lare’schen Vasallen war nicht selbstverständlich gewesen, denn der Kaiser rüstete erneut gegen Mailand und sammelte in Pavia Truppen. In Nürnberg war ihnen erst vor einer Woche der Thüringer Landgraf mit seinem Aufgebot entgegengekommen. Doch sie hatten den wichtigen Auftrag, die Königin sicher in den Norden zu bringen. Obwohl Beatrix gegen die Trennung vom Kaiser protestiert hatte, war Friedrich hart geblieben. Sie sollte sich erholen und zu Kräften kommen, fernab von Schlachtenlärm und der bevorstehenden italienischen Hitze.
Als sie noch eine Stunde von Lare entfernt waren, erlaubte Graf Ludwig, dass die Reiter den Tross verließen und eine schnellere Gangart einschlugen. Nur eine kleine Wachmannschaft blieb zurück und begleitete die schwerfälligen Wagen, die mit den Rüstungen und der Kriegsbeute beladen waren. Im leichten Galopp legten die anderen die wenigen Meilen bis zur Burg zurück. Judith stieß einen lauten Freudenschrei aus, als sie über den Baumwipfeln im letzten Sonnenlicht die Mauerkrone des Bergfrieds erkannte. Sie winkte dem Soldaten, der die Fanfare trug. »Blas das Signal, worauf wartest du noch?«
Kurz darauf schallte das Willkommenssignal von den Mauern herab. Hunde begannen zu kläffen. Ob Ludwig unter den Männern oben auf dem Turm stand?
Zum ersten Mal erlebte sie die andere Seite des Heimkehrens. Diesmal wartete sie nicht auf der Treppe des Palas und sah den Ankommenden ungeduldig entgegen, diesmal polterte ihre Stute über die Bohlen der Zugbrücke, an den Reihen des Gesindes entlang, das auf dem Hof zusammengelaufen war und ihr zuwinkte. Wie sie all diese vertrauten Gesichter vermisst hatte, bemerkte sie erst jetzt. Der Mundschenk hatte schütteres Haar bekommen, seine Frau schob ein vielsagendes Bäuchlein vor sich her. Und durch das Holzgatter, das zum Kräutergarten führte, sah sie gerade noch eine Schar kleiner roter Katzen verschwinden. Mühsam schluckte sie das enge Gefühl in der Kehle hinunter.
Ihr Bruder Ludwig stand auf der obersten Stufe der Treppe, schlank und hochgewachsen, sein Antlitz war breiter geworden. Der dunkle Schatten auf seiner Oberlippe ließ sie einen Moment blinzeln. Seine höfliche Willkommensmiene ging in ein glückliches Grinsen über, als er sie erblickte. Neben ihm versuchte Gerlind vergeblich einen schlaksigen Halbwüchsigen zu halten. Er entwand sich ihrer Hand, um ihnen entgegenzulaufen.
»Judith!«
Sie sprang mit steifen Beinen vom Pferd und schloss Beringar in die Arme. »Ich hätte dich fast nicht erkannt. Du bist beinahe so groß wie ich. Aber jetzt geh schnell und begrüße zuerst die Königin, bevor sie dir übelnimmt, dass du sie übersiehst.«
Nach der offiziellen Willkommenszeremonie, die ihr Bruder Ludwig mit der Ungezwungenheit eines Achtzehnjährigen durchführte, wurde im Saal aufgetafelt. Zufrieden stellte sie fest, dass er sich geschmeidig wie ein Luchs durch den Raum bewegte, nicht einmal ein leichtes Nachziehen des Beins erinnerte an den Unfall vor Jahren auf der Treppe.
»Wo ist Isabella?«, fragte sie ihn, während sie an der Tafel Platz nahmen.
»Na, wo schon? Bei ihren Pferden!«
»Wusste sie nicht, dass wir heute ankommen?«
Ludwig verdrehte die Augen. »Natürlich weiß sie das. Aber du kennst sie. Sie hat noch immer nicht verwunden, dass sie hierbleiben musste, während ihr …« Er brach ab und griff sich ein großes Stück Wildschweinbraten. »Du musst mir alles erzählen, hörst du? Wie ihr Crema erobert habt und wie dieser Mar…« Hilflos fuchtelte er mit seinem Messer herum.
»Marchesi?«
»Ja, genau! Wie
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