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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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keuchen.
    Die Antwort wurde von einem knarrenden Geräusch übertönt, das der Holzstoß unter ihr verursachte. Sie fühlte eine Bewegung, der Stamm, auf dem sich ihr rechtes Bein abstützte, begann sich zu drehen. Er lag auf einem dickeren Aststumpf, und ihr Fuß hatte ihn aus dem labilen Gleichgewicht gebracht. Ein Teil des Baums schwenkte wie der Arm eines Krans nach unten und kam ins Rutschen. Der obere Teil bewegte sich dabei wie ein Windmühlenflügel zunehmend schneller auf sie zu.
    Sie stemmte sich ab, und als der Stamm ihren Arm traf, sprang sie darüber hinweg. Im rechten Winkel zu den anderen rutschte er hinab. Das Poltern war sicher bis zur Basilika zu hören, doch es war nicht laut genug, um das Fluchen des Bischofs zu übertönen.
    »Bei den Hörnern des Teufels! Welcher verfluchte Bastard wagt es …?« Eine Tür flog auf.
    Der Baumstamm stoppte auf der Grasnarbe zwischen Koppel und Holzlager und blieb zitternd mit der Spitze auf den untersten Fichtenstangen liegen. Die Pferde hoben die Köpfe und wichen einige Schritte zurück. Konrad kam um die Ecke, über seinen nackten Beinen hing lose der Kittel. Wortlos starrte er auf den Stamm. Langsam glitt sein Blick daran nach oben und stieß schließlich auf Judith, die noch immer auf allen vieren unter dem Rand des Schilfdachs hockte. Seine Augen wurden schmal.
    Ich müsste schreien, dachte sie, laut schreien. Dann würden alle herbeilaufen … Beatrix in der Hütte und die Beinlinge auf dem Hocker, das dürfte ausreichen …
    Stattdessen sah sie bewegungsunfähig und stumm zu, wie Konrad mit eisiger Miene auf den Pfahl am Ende des Stapels zuging und ihn mit einem einzigen kräftigen Tritt umknickte. Einen Moment lang passierte gar nichts. Der kalte Blick aus seinen Augen schien die Welt einzufrieren. Dann gab es einen heftigen Ruck unter ihr, und alles geriet in Bewegung. Wie die Finger einer gespreizten Hand glitten die obersten Stangen auseinander und zogen sie mit hinab. Sie klammerte sich an Holz, das keinen Halt bot, weil es sich immer schneller bewegte. Rinde schabte über ihre Fingerknöchel, und sie fühlte, wie ihr rechter Fuß zwischen zwei übereinanderrollende Stämme geriet. Während die Sonne grell durch ihr Gesichtsfeld wirbelte, traf sie ein harter Schlag am Kopf, und das gleißende Licht stürzte mit ihr in ein dunkles Loch.

[home]
    Burg Straußberg anno 1160
    »Judith von Lare, Tochter des Grafen Ludwig von Lare, entbietet dem Vater ihren Gruß. Nun ist der Sommer bald vorüber, und meine Genesung schreitet voran. Seit Ihr mich letzte Woche besucht habt, hat sich mein Zustand weiter gebessert. Sigena ist eine begnadete Heilerin, doch damit sage ich Euch nichts Neues. Die Knochen meines Fußes heilen schnell, seit gestern laufe ich an Krücken, mehr schlecht als recht. Doch hoffe ich, bis zum Herbst ohne diese lästigen Hilfsmittel zu gehen. Wie Ihr seht, tut meine Hand wieder ihren Dienst, wenn auch meine Schrift noch etwas krakelig ist. Meine Kopfschmerzen werden milder, einzig mein Gedächtnis kehrt nicht zurück. Sigena meint, das wäre nicht nötig. Ich finde mich im Alltag gut zurecht, auch ohne die Erinnerung an das letzte Jahr. Euer Vorschlag, meine künftige Aufgabe als Novizin im Damenstift von Eschwege zu sehen, gefällt mir immer besser. Sicher ist das eine Verpflichtung, die meinen Fähigkeiten gerecht wird. Ich freue mich darauf, und ich bitte Euch dringend, mir den Tag der Reise mitzuteilen, damit ich mich gewissenhaft vorbereiten kann. Möge Gottes barmherzige Hand über Euch liegen und Euch bewahren vor Krankheit und Tod.
    Gegeben auf Burg Straußberg, am neunten Tage des August im Jahre 1160 nach der Geburt unseres Herrn Jesu Christi.«
    Judith pustete sacht über das Pergament, um die Tinte zu trocknen.
    »Fertig?« Ludwig sah vom Damebrett auf, wo er gerade gegen Beringar verlor.
    »Ich glaube schon. Willst du ihn lesen?«
    »Matt! Du bist matt!«, jubelte Beringar.
    »Das sagt man nur beim Schach, Kleiner!«, belehrte ihn Ludwig. Er nahm seiner Schwester den Brief aus der Hand. »Das klingt nicht so richtig nach dir«, nörgelte er, nachdem er ihn überflogen hatte. »Es ist so unterwürfig.«
    »Umso besser«, entgegnete sie. Vorsichtig hob sie ihr rechtes Bein vom Lager und griff nach zwei Stöcken, die am Kopfende an der Wand lehnten. »Er soll ruhig denken, dass ich mich verändert habe. Lass uns eine Runde gehen.«
    »Ich komme mit!« Beringar, der inzwischen aus den Damesteinen Türme gebaut hatte, sprang

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