Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
glauben, da ich dort auch noch dies gefunden habe.«
Mit einer raschen Bewegung öffnete er die Faust und zeigte den Fingerknochen, den er zusammen mit der Karte gefunden hatte. Die beiden Tempelritter starrten ihn mit großen Augen an. Mondino packte ihn sogleich wieder weg, ehe Hugues versuchen würde, ihm den Finger abzunehmen.
»Ihr habt recht gesehen«, sagte er. »Die Adern am Finger sind in Eisen verwandelt worden, genau wie das Herz der beiden Leichen. Der Finger gehörte übrigens nicht Wilhelm von Trier, und ich kenne seine Herkunft nicht.«
»Meister, aber das bedeutet ja …«, meinte Gerardo, ohne seinen Satz zu vollenden.
»Was?«, fragte Mondino. »Dass unser Mann in eine Falle getappt ist? Vielleicht. Genau darüber wollte ich mit Euch sprechen.«
»Schauen wir uns die Karte an«, unterbrach sie Hugues.
Mondino stellte den Weinkrug und die Schale mit den Nüssen beiseite und schob die Lampe näher, bevor er das Pergament auf dem Tisch entrollte. Es handelte sich um ein kleines Blatt von bester Qualität, weich und fleckenlos, aus der Innenseite einer Tierhaut. Die Zeichnungen waren mit großer Sorgfalt ausgeführt worden, zuerst mit einer Bleispitze, dann hatte man Pigmente von drei verschiedenen Farben aufgetragen: weiß für die Straßen, rot für die Berge und schwarz für die Felder und Wälder. In den beiden oberen Ecken waren Sonne und Mond abgebildet. In den unteren Ecken befanden sich ein grüner und ein roter Löwe, die einander anstarrten. Zwischen den beiden Tieren sah man einen roten Kreis, unter den mit einer inzwischen grünlich verblassten Tinte auf Kupfersalzbasis die arabischen Buchstabengeschrieben waren. Mit derselben Tinte hatte jemand andere Wortgruppen in noch kleineren Buchstaben gekritzelt, die beinahe den gesamten
freien Raum auf der Karte ausfüllten. Oben in der Mitte zwischen den Bildern von Sonne und Mond war ein weiterer roter, allerdings unbeschrifteter Kreis. Der von der Karte beschriebene Weg verband die beiden Kreise, wobei er durch Wälder und Berge führte. Mondino hatte jede Einzelheit der Karte studiert, aber da er nicht wusste, um welche Gegend es sich handelte, und er auch nicht Arabisch lesen konnte, hatte er sich keinen Reim darauf machen können.
»Sagt Euch das etwas?«, fragte er Hugues.
Der Franzose starrte aufmerksam auf die Karte. »Nichts«, meinte er dann. »Außer dass ein Ort in Spanien beschrieben wird.«
»Woher wisst Ihr das?«, fragte Gerardo überrascht.
»Unter dem unteren Kreis steht al-hamrā , oder alhambra, wie die Spanier sagen. Das bedeutet ›die Rote‹ und bezeichnet die Festung der Stadt Granada im Süden Spaniens. Ein Stützpunkt der Mauren. Das muss der Ausgangspunkt des Weges sein.«
»Da Ihr des Arabischen mächtig seid«, meinte Mondino fragend, »könnt Ihr uns sagen, was die anderen Worte bedeuten?«
»Es scheinen Verse zu einer Hochzeit zu sein«, antwortete Hugues de Narbonne, ohne auf die Karte zu schauen. »Sie preisen die Brautleute, doch sie ergeben wenig Sinn, und es scheinen auch einige Verse zu fehlen. Vielleicht sind sie nur dorthin geschrieben worden, um die leeren Stellen auszufüllen.«
Mondino kannte diese Angewohnheit von den Notaren Bolognas, Verse auf die Ränder von Urkunden und Dokumenten zu kopieren, damit man dort nichts unberechtigt hinzufügen konnte. Vielleicht hielten es die Araber ja genauso.
»Das ist möglich«, sagte er kurzangebunden und rollte das Pergament wieder zusammen. »Wie dem auch sei, wenn der
tote Templer sich so viel Mühe gemacht hat, diese Karte zu verbergen und sie zusammen mit dem Finger aufbewahrte, den ich Euch soeben gezeigt habe, könnte es uns helfen, etwas mehr über sie zu erfahren.«
Hugues leerte seinen Zinnbecher und knallte ihn so hart auf den Tisch, dass die Flamme in der Lampe flackerte. »Damit verschwenden wir nur unsere Zeit«, sagte er, den Becher immer noch umklammert. »Wir müssen den Mörder vor der Inquisition finden. Und da bringt uns eine Karte voller sinnloser Symbole nicht weiter. Wir müssen vielmehr herausfinden, wen diese beiden Männer seit ihrer Ankunft in Bologna getroffen haben. Wir müssen uns aufteilen und unauffällig alle befragen, die sie gesehen haben, angefangen bei den Leuten in ihrer Unterkunft. Von dort erweitern wir unseren Wirkungskreis dann stetig. Vor allem müsst Ihr, Gerardo, uns jetzt alles erzählen, was Angelo da Piczano in Eurer Gegenwart gesagt oder getan hat.«
Hugues hatte wieder das Heft in die Hand genommen
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