Das Geheimnis der Apothekerin
hatte die Ladenglocke nicht klingeln hören. Was um alles in der Welt hatte er gemacht, nachdem sie ihn gebeten hatte, Mrs Kilgrove ihre Tabletten zu bringen? Es hatte doch sicher nicht so lange gedauert, einem Meerschweinchen, das im Käfig saß, ein paar Kräuter zu geben.
Lilly hatte das Tierchen nicht gewollt, aber jetzt hatte sie doch Freude daran, es zu versorgen und zu streicheln. Sie zog eine verlegene Grimasse. Nun hatte sie drei männliche Wesen, für die sie sorgen musste. Während sie das dachte, drehte sie sich um und ging zur Gartentür, um ein paar Mohrrüben aus dem Beet zu ziehen. Das Meerschweinchen würde mehr als ein bisschen Kamille zum Abendessen brauchen.
Über der Gartenmauer tauchten Francis' Kopf und Schultern auf. Als er das erdverkrustete Gemüse in ihrer Hand sah, fragte er misstrauisch: »Hungrig?«
»Ja, ich bin hungrig, aber das hier ist für den Nager, den du mir untergeschoben hast.«
»Ahhh … es wärmt mein Herz, wenn ich sehe, wie gut du das Tierchen versorgst.«
Sie spülte die Mohrrübe im Wassereimer ab. »Ich muss ja. Es wäre nicht gut fürs Geschäft, wenn ich irgendeinem Lebewesen die nötige Pflege versagte.«
»Ja, da hast du recht. Trotzdem. Wenn du es wirklich nicht magst, kann ich es bestimmt Mrs Kilgrove geben. Sie hat eine Katze, die immer hungrig ist.«
»Das wagst du nicht!«
Sie schüttelte drohend die Mohrrübe in seine Richtung, sodass das nasse Grün einen Tropfenschauer über ihn regnen ließ. Er duckte sich hinter die Mauer und sie ging, die Mohrrüben schwenkend und ein Lied vor sich hinsummend, in den Laden zurück.
Francis folgte ihr unverdrossen. »Hast du etwas dagegen, wenn ich kurz reinkomme und deinem Vater guten Tag sage?«
Sie hielt ihm die Küchentür auf.
»Du führst mich nicht hinters Licht! Ich weiß, dass du eigentlich nur das Meerschweinchen sehen willst.«
Wieder fiel ihr Charlie ein. Hoffentlich hatte er sich auf dem Weg zu Mrs Kilgrove nicht ablenken lassen. Die Frau wollte ihre Kamillentabletten noch vor dem Abendessen haben.
»Ich habe über das Lungenfieber nachgelesen«, sagte Francis. »Ich glaube, Dr. Graves hat Kaliumnitrat oder Salpetergeist bestellt?«
»Hmmmm …«, murmelte sie unverbindlich, zu abgelenkt, um beeindruckt zu sein.
Als sie in den Laden vorantrat, blickte sie prüfend auf die Theke. Das kleine Gefäß mit den Tabletten, auf das sie Mrs Kilgroves Namen geschrieben hatte, war fort. Alles wirkte so, wie es sein sollte.
Francis blieb auf der Schwelle stehen. »Ist dein Vater im Behandlungszimmer?«
Sie deutete nach oben, ohne aufzublicken. »In seinem Schlafzimmer.«
Ihr Blick blieb an einem neuen Fläschchen mit silbernen Tabletten hängen, das ganz vorn auf der Kante der Theke stand. Die Spätnachmittagssonne fiel auf das Glas und die metallisch schimmernden Pillen. Dann sah sie es. Der Deckel war offen und inmitten der silbernen lag eine einzelne gelbe Tablette.
Guter Gott, nein …
Sie drehte sich zum Käfig um, der auf der hinteren Theke stand. Stirnrunzelnd trat sie näher. Der Schock entlockte ihr einen Schrei, ihre Hand flog zum Mund.
Das Meerschweinchen war tot.
Lilly rannte.
Sie hatte nur noch kurz nach Francis gerufen und nach einer Phiole mit einem Brechmittel gegriffen und schon rannte sie die High Street hinunter, so schnell sie konnte.
»Charlie!«, rief sie immer wieder. Sie überquerte die Sand Road und folgte dem schmalen Lehmweg, der zu Mrs Kilgroves Cottage führte.
»Charlie!«
Sie musste ihn erwischen, bevor er die Tabletten auslieferte … auf jeden Fall, bevor die Frau sie einnahm. Sie erinnerte sich an die Dosierung, die auf dem Etikett stand: zwei Tabletten zum Abendbrot . Zwei Tabletten. Zweifache Gefahr. Wie lange war sie dagestanden und hatte törichtes Zeug mit Francis geredet, während Charlie der arglosen Frau die falschen Tabletten brachte? Gott, bitte. Bitte …
Francis holte sie ein, als sie Mrs Kilgroves Gartentor erreichte. Vor der Haustür stand Charlie. War er vielleicht gerade erst angekommen? Hatte er noch kurz bei Mary haltgemacht? Normalerweise hätte sie ihn dafür gescholten. Heute dankte sie Gott.
»Charlie, warte. Geh nicht …«
Charlie fuhr zu ihr herum, er war totenblass. »Lilly. Da stimmt was nich. Mrs K. is ganz komisch. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich wollte dich suchen.«
Panik packte sie. »Hast du ihr die Tabletten gegeben?«
Er nickte. »Sie hat schon darauf gewartet, wie du gesagt hast.«
Oh Gott. Oh nein.
»Was hat
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