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Das Geheimnis der Apothekerin

Das Geheimnis der Apothekerin

Titel: Das Geheimnis der Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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bewegen. Als es näher kam, erkannte Lilly, dass es ein Kanalboot war. Die Bootslaternen warfen zuckende Lichter und Schatten auf das Kanalufer und die Brückenpfeiler, als es sie langsam passierte. Lilly beobachtete alles genau. Sie hörte, wie die Mannschaft – Männer, die hart arbeiteten und sich einen rauen Ton angewöhnt hatten – miteinander sprach und scherzte. Aus ihrem lärmenden Gelächter ging hervor, dass sie einige Zeit am The George angelegt und dort ein paar Bier zu viel getrunken hatten.
    Frauen waren keine an Bord.
    Plötzlich hatte Lilly eine Erkenntnis. Sie war damals genauso traurig gewesen wie Charlie, als er acht oder neun war, und war ebenfalls jeden Tag unterwegs gewesen und hatte im ganzen Dorf und in der Umgebung nach seinem verlorenen Jolly gesucht. Mittlerweile war sie achtzehn Jahre alt und betrachtete immer noch ganz genau das Gesicht jeder Frau, die ihr begegnete in der Hoffnung, ihre verlorene Mutter zu finden. Aber sogar Charlie hatte irgendwann aufgegeben und aufgehört zu suchen. Ihre Eltern hatten Charlie nie ein anderes Haustier geschenkt, aus Angst, dass sich das Drama wiederholen könnte. Sie hatten die Geschichte schon bald zu den Akten gelegt und ganz normal weitergelebt. Warum konnte sie es nicht genauso machen? Es war an der Zeit, beschloss sie. Sie würde nach London gehen. Gleich nach Weihnachten.
    Schweigend wandten sie und Charlie sich um und sahen den Lichtern des Bootes nach, bis es ihren Blicken entschwand.
    Plötzlich ergriff Charlie ihre Hand, eine äußerst seltene Geste bei ihm. »Bleib hier.«
    Lilly traten Tränen in die Augen. »Du machst es mir nicht leicht.« Sie drückte seine Hand. »Sei nicht traurig, Charlie. Es ist doch nicht für immer. Ich komme ja wieder zurück.«
    Er starrte weiter in die Ferne. »Das hat sie auch gesagt.«
    Lillys Herzschlag beschleunigte sich. »Was?«
    Charlie schaute weiter dem Boot nach und antwortete nicht.
    »Meinst du Mutter? Sie hat dir gesagt , dass sie fortgeht?«
    »Kein Weggehen mehr, bitte«, flüsterte er.
    »Was hat sie dir noch gesagt? Erinnerst du dich?«
    »Geh nicht fort, Lilly.«
    Lilly war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, jede Kleinigkeit, an die ihr Bruder sich erinnerte, herauszubekommen, und der Scheu, ihn noch mehr aufzuregen.
    Sie riss sich zusammen. »Komm, Charlie. Vater wartet sicher schon auf sein Abendbrot.«
    Als sie nach Hause kamen, befand sich die Labor-Küche in sehr viel schlimmerer Unordnung als sonst.
    »Vater, du hast wieder den großen Destillierkolben auf dem Herd stehen gelassen«, rief Lilly. »Wenn du heute noch Abendbrot willst, hilf mir, ihn runterzunehmen.«
    Charles Haswell kam aus seinem Sprechzimmer. Er hielt einen Stapel Briefe und Rechnungen in der Hand. »Tut mir leid, Lilly. Weißt du, wo die Bestellung für Shipton ist?«
    »Ich habe sie vor zwei Tagen auf deinen Schreibtisch gelegt.« Lilly holte den Suppentopf aus dem Kühlkeller.
    »Wirklich? Ich kann sie nicht finden.«
    »Du solltest deine Sachen aufräumen, statt einfach alles auf dem Schreibtisch liegen zu lassen.«
    »Aber ich habe überall gesucht.«
    »Vater! Ich will mich nicht nochmal zwei Stunden hinsetzen und eine neue Bestellung schreiben!«
    »Würdest du sie dann bitte suchen!«
    »Ja, mache ich ja. Sobald ich die Suppe warm gemacht habe. Weißt du, wo die Schöpfkelle ist?«
    Leise vor sich hin schimpfend nahm er den Destillierkolben vom Herd und holte Töpfe und Kessel aus dem Regal. »Ich finde hier überhaupt nichts! Der Himmel sei uns gnädig, wenn du weg bist!«
    Lilly seufzte. »Nicht du auch noch, Vater! Ich habe heute mit den drei Menschen, die ich am meisten auf der Welt liebe, darüber geredet. Ich halte es nicht aus, dich auch noch zu enttäuschen. Wenn du willst, dass ich bleibe, sag es.«
    »Bleiben? Hierbleiben und hinter mir herräumen und mein Chaos beseitigen, nur weil ich so unordentlich bin? Auf gar keinen Fall. Du gehst.«
    »Willst du das wirklich?«
    »Na ja, ich will nicht, dass du hierbleibst und wirst wie deine Mutter.«
    Lilly schnappte nach Luft. »Vater!«
    Er hielt in seiner Tätigkeit inne und sah sie ernst an. »Ich meine … ich möchte nicht, dass du hierbleibst und dich immer fragen wirst, was du wohl versäumt hast, und dich immer danach sehnen wirst. Finde es heraus, jetzt, bevor …«
    »Bevor?«, fragte sie.
    Er seufzte. »Bevor du einen Mann hast und Kinder und sie verlässt.«
    »Oh Vater.« Zum zweiten Mal an diesem Tag traten ihr die Tränen in die Augen.

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