Das Geheimnis der Apothekerin
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Vorsichtig stieg sie die Treppe des Elliottschen Hauses hinunter. Ihre Tante und ihr Onkel, die unten in der Halle standen, beobachteten sie voller Freude.
»Meine liebe Lillian, du siehst entzückend aus«, gurrte ihre Tante.
»Sehr hübsch, wirklich«, fügte Onkel Elliott hinzu und griff sich mit beiden Händen an das Revers seiner Jacke, die seinem Körperumfang nicht ganz gerecht wurde.
Tante Elliott lächelte ihren Mann an. »Ist sie nicht ein Bild der Vollkommenheit?«
»Ein Bild, wahrhaftig. Aber noch nicht ganz vollkommen, meine Liebe.«
Ihre Tante neigte den Kopf zur Seite. »Ach nein?«
»Es fehlt noch etwas.«
Lillian blieb auf dem Treppenabsatz stehen und blickte an sich herunter. Sie begutachtete die Handschuhe, den Pompadour, die flachen Schuhe, die unter dem Rock hervorblitzten. Was hatte sie vergessen?
»Ich weiß, was fehlt.« Jonathan Elliott drehte sich zu dem Tisch um, der hinter ihm in der Halle stand, und ging einen Augenblick später auf Lilly zu.
Er blieb vor ihr stehen und hielt ihr ein braunes, mit Samt bezogenes Etui unter die Augen. »Ich hoffe, deine Erwartungen sind nicht allzu hoch, meine Liebe. Es ist nicht das Allermodernste, wie man heute sagt. Im Gegenteil, es ist eher alt.«
Das Lächeln, das die Elliotts sich zuwarfen, verriet, dass ihre Tante wusste, was ihr Mann vorhatte.
Er öffnete den Deckel der kleinen Schatulle und zeigte Lilly den Inhalt.
»Wie hinreißend!« Lillys Entzücken war aufrichtig. Auf dem Seidenfutter lagen ein atemberaubender safrangelber Anhänger an einer Goldkette und ein dazu passendes Topasarmband.
»Sie haben Lillian Elliott gehört«, sagte ihr Onkel, »deiner Großmutter.«
Ihr Herz tat beinahe weh angesichts der Zuneigung, die dieses Geschenk verriet. »Sie sind wunderschön. Ich wünschte, ich hätte sie gekannt.«
»Ich bin sicher, dass sie dich sehr, sehr gern gehabt hätte.«
Ihre Tante trat hinter sie und legte ihr die Kette an, während Lilly das Armband anlegte.
»Ich werde gut darauf achtgeben und sie euch unbeschadet wieder zurückgeben.«
»Sie gehören jetzt dir, meine Liebe. Aber es wäre gut, sie im Schmuckkästchen einzuschließen, wenn du sie nicht trägst. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.«
»Ich wäre schon unbeschreiblich glücklich, wenn ihr sie mir leihen würdet, Tante – ihr braucht sie mir nicht zu schenken, wirklich nicht!«
»Unsinn. Wir haben schon vor einiger Zeit den Entschluss gefasst, sie dir zu schenken. Was glaubst du, warum ich dir geraten habe, heute Abend ein gelbes Kleid zu tragen?«
»Sie passen wundervoll zusammen. Danke, Tante. Ihr seid so lieb zu mir.« Sie küsste Ruth Elliotts weiche Wange. »Dir auch danke, Onkel.« Der große Mann beugte sich hinunter, damit sie ihn küssen konnte.
»Schon gut, schon gut. Wir freuen uns, dich bei uns zu haben, meine Liebe. Und jetzt wollen wir gehen.«
Der Ball fand im Haus von Familie Price-Winters statt. Lilly freute sich schon geraume Zeit darauf, denn sie hatte in der vorigen Saison den Sohn und die Tochter des Hauses kennengelernt.
»Mr und Mrs Price-Winters, guten Abend«, sagte Jonathan Elliott. »Sie erinnern sich doch sicher an unsere Nichte, Miss Haswell.«
»Aber natürlich. Sie und unsere Christina leisten einander schließlich oft Gesellschaft.«
Lilly fiel auf, dass Mrs Price-Winters ihren Sohn, William, nicht genannt hatte. Tante Elliott hatte in der letzten Saison versucht, sie mit Christinas Bruder zusammenzubringen, und war sehr enttäuscht gewesen, als er ein anderes Mädchen heiratete. Trotzdem knickste Lilly und lächelte die Eltern ihrer Freundin an. Es war die einzige Freundin, die sie in den sechzehn Monaten ihres Londonaufenthalts gewonnen hatte.
Hinter ihrer Tante und ihrem Onkel ging sie an den Gastgebern vorbei. Langsam bahnten die drei sich ihren Weg durch den überfüllten Ballsaal. Lilly lächelte und knickste sich durch eine lange Reihe von Vorstellungen, doch sie ließ ihre Augen dabei unentwegt durch den Raum schweifen, auf der Suche nach Roger Bromley, einem ihrer aktuellen Bewunderer, der bei ihrer Tante hohes Ansehen genoss.
Ein silberhaariger Gentleman in Uniform verbeugte sich vor ihr. »Miss Haswell, Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht an mich, aber …«
»Admiral Asher, selbstverständlich erinnere ich mich an Sie. Wie geht es Ihrer Dora?«
Admiral Asher war der Onkel von Roger Bromley, wie Lilly sehr wohl wusste, und sie gab sich große Mühe, freundlich zu ihm zu sein. Der ältere
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