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Das Geheimnis der Apothekerin

Das Geheimnis der Apothekerin

Titel: Das Geheimnis der Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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London. Du mochtest sie doch gern, oder?«
    »Ja, sie waren nett«, murmelte er.
    Die Katze stand auf, machte einen Buckel und rieb sich an Charlies Armen. Lilly war dankbar für die Unterbrechung. Als Charlie das Kätzchen streicheln wollte, mahnte sie ihn: »Vorsichtig.«
    Er nickte, strich über das seidige Fellchen und sagte: »Ich kenn dich. Du gehörst Mrs Kilgrove.«
    Die Katze genoss die Aufmerksamkeit schnurrend, mit halb geschlossenen Augen.
    Lilly lächelte. »Sie mag dich.«
    Während sie zusah, wie ihr Bruder die Katze liebkoste, fiel ihr ein Ereignis ein, das noch gar nicht lange her war. Vielleicht lag es an dem Anblick von Charlie und der Katze hier auf der Brücke. Hier, wo sie nach den Booten Ausschau zu halten pflegte.
    Als sei ihm die gleiche Erinnerung gekommen, sagte Charlie: »Ich hab auch mal eine Katze gehabt. Sie ist weggelaufen.«
    Lilly, die nicht näher auf den traurigen Aspekt dieser Erinnerung eingehen wollte, fragte: »Erinnerst du dich an das Weihnachten, als Vater sie dir schenkte? Ich glaube, du warst damals acht Jahre alt.«
    »Ja! In einer Hutschachtel! Mit Luftlöchern, aus denen dauernd die kleinen Pfoten rauskamen und spielen wollten.«
    Lilly wusste, dass ihr Vater damals eigentlich nur einen Mäusefänger für die Apotheke gewollt hatte, aber sie hatte Charlie noch selten so glücklich gesehen wie an jenem Tag.
    Charlie biss sich auf die Lippen. »Dann hat sie das Bein von der Weihnachtsgans gefressen – und sie wurde böse.«
    Sie ? Es war erst drei Jahre her, dass ihre Mutter verschwunden war, aber Charlie hatte kein gutes Gedächtnis. Wie viel wusste er noch von früher? »Erinnerst du dich, was Mr Mimpurse sagte, als du ihm das neue Kätzchen zeigtest?«
    »Mr Mimpurse …« Jetzt sah Charlie plötzlich beunruhigt aus. »Er ist weg.«
    »Ich weiß.«
    Mr Mimpurse war vor über sechs Jahren gestorben. In der Hoffnung, ihren Bruder abzulenken, fuhr Lilly fort: »Aber weißt du noch, was er gesagt hat?«
    Als Charlie den Kopf schüttelte, half sie ihm: »Er sagte: ›Das ist eine prima Katze, Charlie.‹ Erinnerst du dich?«
    »Stimmt.«
    »Und deshalb hast du sie Jolly genannt.«
    »Jolly«, sagte Charlie leise und sein Blick wurde weich bei der Erinnerung.
    Armer Jolly , dachte Lilly. Wie hatte Charlie an dieser Katze gehangen! Ständig hatte er versucht, sie auf seinen Schoß zu setzen, zu sich ins Bett zu holen und sie immer wieder hochgenommen und so fest gedrückt, dass Lilly Angst hatte, er könnte das ständig lebhafter werdende kleine Geschöpf ersticken. Charlie war nicht grausam, nur übereifrig. Mit Katzen muss man vorsichtig sein. Sie brauchen viel Zeit für sich. Zeit, sich zurückzuziehen, Zeit für ihre Nickerchen und für die nächtliche Jagd. Aber Charlie war damals noch zu klein und außerdem war er eben Charlie und verstand es einfach nicht, ganz gleich, wie oft und mit wie viel Liebe und Geduld ihre Eltern es ihm zu erklären versuchten.
    Plötzlich erschrak Lilly. Haben wir uns vielleicht genauso verhalten? , fragte sie sich. Haben wir uns zu sehr an Mutter geklammert und ihr keine Zeit mehr für sich selbst gelassen? Haben wir sie mit unserer Liebe erstickt?
    Als es in jenem nun schon so lange zurückliegenden Jahr Frühling geworden war und die Fenster und Türen wieder häufiger offen standen, war Jolly hinausgeflitzt und sie hatten nie mehr etwas von ihm gesehen.
    Kaum eine Woche später fing Charlie an, Streuner mit nach Hause zu bringen, die eine vage Ähnlichkeit mit Jolly hatten. Manchmal brachte er sogar eine Nachbarskatze durch die Gartentür zu seiner Mutter herein, um sie ihr zu zeigen und mit vor Hoffnung leuchtenden Augen zu fragen: »Ist es Jolly?«
    »Nein, Charlie, leider nicht.« Ihre Mutter lächelte dann mitleidig und ging in die Küche zurück.
    Zuerst brachte er rote Tigerkätzchen, aber bald auch grau-weiß gestreifte und schließlich sogar gefleckte. Es war klar, dass er sich nicht mehr daran erinnerte, wie seine Katze ausgesehen hatte. Aber die Mutter wusste es noch. Sie musste all die Möchtegern-Jollys, die Charlie den ganzen Sommer und Herbst über anschleppte, inspizieren und ihn jedes Mal enttäuschen.
    Lilly erinnerte sich noch gut daran, dass sie damals gedacht hatte, ob es denn wirklich so schlimm wäre, wenn ihre Mutter nur ein einziges Mal lügen und sagen würde: »Ja, Charlie, du hast Jolly gefunden«, wenn er wieder mit einer Katze ankam. Aber sie tat es nie.
    Jetzt begann sich das ferne Boot auf dem Kanal zu

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