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Das Geheimnis der Apothekerin

Das Geheimnis der Apothekerin

Titel: Das Geheimnis der Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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ihre Wangen brannten. Wie demütigend das war !
    Sie wandte sich leicht ab und blickte angespannt zur Tanzfläche hinüber. Ohne etwas wahrzunehmen, beobachtete sie die anderen Paare, die sich anmutig zu den zierlichen Tanzschritten bewegten.
    »Es ist schon gut, Mr Graves«, sagte sie, ohne ihn anzuschauen. »Sie brauchen nicht mit mir zu tanzen. Mr Price-Winters hat nur die Rolle des großen Bruders übernommen. Es macht nichts, wenn ich diesen Tanz aussetze.«
    »Graves!«, zischte William, als er mit seiner Frau herantanzte. Dann waren sie auch schon wieder weg.
    Endlich überwand sich Mr Graves, ihr seinen Arm zu bieten. »Darf ich Sie um diesen Tanz bitten?«
    Sie hatte sich vor langer Zeit vorgenommen, niemals einen Mann abzuweisen, der den Mut aufbrachte, sie um einen Tanz zu bitten. Doch die automatische Antwort »gerne« wollte nicht kommen. Sie atmete tief ein und rang sich ein leises »gern« ab.
    Sie reihten sich in das Menuett ein. Er führte sie in eine Lücke zwischen den Tanzenden und nahm die Bewegungen mit steifer Präzision auf. Sie passte ihm ihre Schritte an. Den Blick hielt er abgewandt.
    Sie seufzte innerlich auf. Die ganze vorige Saison und auch diese hatte sie mit Dutzenden von Gentlemen getanzt, die sie unannehmbar oder sogar abstoßend fand, aber nie, so hoffte sie jedenfalls, hatte sie ihr Desinteresse so deutlich gezeigt, wie jetzt Mr Graves es tat. Zweifellos fiel allen im Saal auf, dass es ihm ein Gräuel war, mit ihr zu tanzen.
    Verstohlen beobachtete sie die anderen Tanzenden. Ganz vorn waren Roger Bromley und Susan Whittier. Roger strahlte seine Partnerin an, obwohl Susan unnahbar an ihm vorbei in die Ferne blickte. Eigentlich müssten Miss Whittier und Mr Graves zusammen tanzen , dachte Lilly, die beiden schienen genau gleich viel Freude daran zu haben.
    Plötzlich entdeckte Lilly über Rogers Kopf ein vertrautes Gesicht. Sie zuckte zusammen, keuchte auf und wandte rasch den Blick ab. Die hohe Gestalt und die markanten Gesichtszüge ließen keinen Irrtum zu. Roderick Marlow ? Hier? Jetzt? Um Zeuge ihrer Demütigung zu werden? Um, zur Demütigung ihrer Tante und ihres Onkels, aller Welt mitzuteilen, dass sie die Tochter eines Apothekers war – eine Tatsache, die ihr in den Augen der meisten hier Anwesenden den Status einer Krämerstochter verlieh?
    Bei der nächsten Drehung warf sie einen weiteren heimlichen Blick in Rodericks Richtung. Inzwischen unterhielt er sich mit Mr und Mrs Price-Winters. Am Arm hing eine atemberaubend schöne Frau mit herrlichem Haar in einem warmen, schimmernden Rotton. Mr Marlow blickte auf und seine Augen verengten sich. Wieder wandte sie hastig das Gesicht ab. Hatte er sie gesehen?
    Als die letzten Töne des Tanzes erklangen, trat Lillian dichter an ihren Partner heran. »Bitte entschuldigen Sie mich, Mr Graves. Ich fürchte, ich muss Sie verlassen.«
    Er hörte auf zu tanzen und blieb einfach stehen, wo er stand. Doch als er den Mund öffnete, hatte sie sich bereits abgewandt und war schon mehrere Schritte entfernt, als sie seine Antwort vernahm: »Selbstverständlich.« Ein solches Benehmen war absolut nicht ihre Art, doch in diesem Fall nahm sie an, dass ihr Tanzpartner einfach nur froh war, seiner Pflicht, sie an ihren Platz zurückzubegleiten und sich heuchlerisch bei ihr zu bedanken, ledig zu sein. Wieder erblickte sie über die Köpfe der Menge hinweg Mr Marlows Gesicht. Sie war sich nicht sicher, aber er schien zu versuchen, sich einen Weg zu ihr zu bahnen. So schnell sie konnte, flüchtete sie in die Sicherheit des Aufenthaltsraums für die Damen.
    Dort fand ihre Tante sie wenige Minuten später. »Da bist du ja, meine Liebe. Geht es dir gut?«
    »Ja. Ich bin nur ein bisschen müde.«
    »Dein Onkel und ich wollten ohnehin aufbrechen, wenn du sicher bist, dass du nicht noch bleiben möchtest?«
    »Ich möchte gehen.«
    Sie nahmen ihre Umhänge und drängten sich zu ihren Gastgebern durch, um ihnen zu danken. Plötzlich legte sich eine Hand auf Lillys behandschuhten Arm. Sie schrak zusammen. Aber es war nur Will Price-Winters. Sein sonst so fröhliches Gesicht war ernst. »Miss Haswell, ich hoffe, Sie betrachten das Zögern meines Freundes nicht als Affront gegen Ihre Person. Graves ist der zurückhaltendste Mensch, den ich kenne.«
    Rasch ließ sie ihre Blicke über die Menge gleiten. »Machen Sie sich keine Gedanken. Gute Nacht, Mr Price-Winters.«
    Er betrachtete sie forschend. »Geht es Ihnen wirklich gut?«
    »Ja, danke. Bitte grüßen Sie

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