Das Geheimnis der Apothekerin
Stimme etwas früher wiedergefunden, als die kritische Menge noch still war und ihn hören konnte.
»Den Mann gerettet? Das gute Kind hat ihn fast aufgespießt!«
Ihre Tante nahm sie beim Arm und sagte durch zusammengebissene Zähne: »Komm weiter, Lillian.«
In der Kutsche sagte Tante Elliott eindringlich zu Lilly: »Lillian, ich weiß, du hast aus Herzensgüte gehandelt, aber wirklich – hättest du dich nicht beherrschen können?«
»Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen? Dabeisitzen und schweigen? Keiner hat ihm geholfen. Ich selbst hätte mich ja am meisten darüber gefreut.«
»Einer der Männer hätte es schon getan, wenn du dich nicht so … vorgedrängt hättest. Dieser Graves war doch da, wie sich herausgestellt hat, und der Arzt war auch unterwegs. Aber du hast dir angemaßt, die Arbeit eines Arztes zu tun.«
»Er hätte sterben können.«
»Sei doch bitte nicht so dramatisch. Es war nur ein Pfefferminzbonbon, um Himmels willen.«
»Wahrscheinlich hat er es in den falschen Hals bekommen, als die Sopranistin die höchste Note traf«, sagte Onkel Elliott trocken. »Mir wäre beinahe dasselbe passiert.«
»Mr Elliott. Das Ganze ist mitnichten zum Lachen. All die Schneiderinnen und Tanzmeister, die vielen Stunden Sprachunterricht, Zeichenunterricht und Unterweisung in gutem Benehmen. Jetzt war alles vergeblich.«
»Meine Liebe, wer ist denn hier jetzt dramatisch? So schlimm wird es nicht kommen. Unsere Lillian wird eine Heldin sein, zumindest bei denen, die noch einen Rest Verstand haben.«
»Mr Elliott, du weißt nicht, was du sagst.«
»Na, na. Auch wenn ein paar Leute das, was sie heute Abend getan hat, mit scheelen Augen betrachten – sie werden es bald genug vergessen haben.«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen.« Die Stimme ihrer Tante klang arrogant und geschlagen zugleich. »In dieser Hinsicht haben die Gesellschaft und Lillian viel gemein. Beide haben ein hervorragendes Gedächtnis.«
8
Die Kunst des Arztes besteht darin, die Patienten bei Laune zu halten,
während die Natur die Krankheit heilt.
Voltaire
Zwei Tage später, es war ein schöner Nachmittag, fuhr Lilly gemeinsam mit Christina Price-Winters in einem schlanken offenen Landauer durch Berkeley Square. Große Bäume standen Wache am Weg, die dunklen Stämme von Osterglocken umringt. Die Luft war erfüllt von Lachen und Vogelgesang.
Christina scherzte mit Lilly und teilte ihr die privatesten Dinge mit, als sei der Kutscher taub oder besäße nicht mehr Intelligenz als die beiden Pferde, die er lenkte. Lilly rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz herum.
»Sieh mal, da ist William!«
Sie winkte und Lilly folgte ihrem Beispiel. William kam über das Grün zu ihnen geschritten. Lilly war überrascht zu sehen, dass Mr Graves ein paar Schritte hinter ihm in gemächlicherer Gangart folgte.
»Halten Sie an, Barker«, rief Will dem Kutscher zu, der daraufhin die beiden Kastanienbraunen zum Stehen brachte. Als William sie erreicht hatte, griff er nach dem Türgriff des Landauers und strahlte zu den beiden Mädchen hoch. »Ich habe Graves gesagt, dass wir euch im Park finden würden, wo ihr euch nach Bewunderern umsehen wolltet.«
»Wo denkst du hin, so etwas würden wir doch nie tun«, sagte Christina mit neckischem Vorwurf.
Mr Graves war nun ebenfalls angelangt, schien sich jedoch ganz offensichtlich unbehaglich zu fühlen. Will sah Lilly an und fragte neckend: »Oder hat Miss Haswell vielleicht wieder ein Leben gerettet?«
Lilly blickte Mr Graves an, sah aber gleich wieder weg. »Nein, nichts Derartiges.«
Will schien ihr Unbehagen nicht zu bemerken. »Wir kommen gerade von Vater, der, wie ich froh bin, berichten zu können, bei bester Gesundheit und Laune ist.«
»Ja«, sagte Lilly, »ich habe heute Morgen schon vorgesprochen und war erleichtert, dass es ihm so gut geht.«
Will grinste. »Haben Sie einen Patientenbesuch gemacht?«
Wieder sah sie zu Graves hinüber, der bis jetzt geschwiegen hatte.
»Nein, ich wollte mich einfach nur vergewissern, dass mit ihm alles in Ordnung ist.«
»Das ist es, vielen Dank.« Will schlug mit der flachen Hand auf den Landauer. »Er meinte, er sei absolut in der Lage aufzustehen, genoss aber gleichzeitig zu sehr das Aufhebens, das Mutter um ihn machte, als dass er es auch nur versucht hätte. Wenn Vaters Kehle noch schmerzt, dann nur, weil er so laut Ihr Loblied singt.«
Lilly spürte, wie sie rot wurde.
»Steigt doch aus und kommt mit zu Gunter's, ein Eis essen«,
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