Das Geheimnis der Apothekerin
Straße hinunterging, desto lauter wurde der Lärm. Sie wollte gerade umkehren, als ihr Blick auf einen Eckladen fiel. Der abblätternde Fensterrahmen und das schlichte Schild erinnerten sie an die Apotheke ihres Vaters. Sie trat näher, las das Schild, L. Lippert, Apotheker , und spähte durchs Fenster. Es sah wirklich aus wie zu Hause – traditionelle Auslagen, saubere Theken, sogar ein Alligator pendelte unter den Deckenbalken. Beim Anblick einer jungen Frau, die an einem großen Schreibtisch saß, über ein Hauptbuch gebeugt, machte ihr Herz einen Satz. Die Frau war allein; man sah weder Kunden noch den Apotheker. Doch dann trat aus dem Hinterzimmer ein Mann herein; er trug Weste und Schürze und hatte eine Brille auf. Er wirkte älter als ihr Vater, strahlte aber eine ebenso große Kompetenz aus. Als er stehen blieb und mit der jungen Frau sprach und sie dabei spielerisch an einer losen Haarsträhne zog, füllten sich Lillys Augen mit Tränen. Sie war glücklich bei den Elliotts, aber mit einem Mal überfiel sie das Heimweh. Sie vermisste ihren Vater. Sie vermisste alle in Bedsley Priors.
Als sie die Tür aufstieß, erklang die Ladenglocke. Ihr Ton war ein wenig heller als zu Hause. Die Frau blickte auf und sah sie freundlich an. Sie hatte ein hübsches, zartes Gesicht und schien nur wenig älter als Lilly selbst zu sein.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
»Ich möchte mich nur umschauen.«
»Gern.«
Der Mann trat vor. »Wenn Sie eine Frage haben, zögern Sie nicht …«
»Mr Lippert, nehme ich an?«
»Genau.«
»Ich habe gerade Ihre Apotheke bewundert. Ich finde sie sehr einladend.«
»Nun, ich fürchte, damit stehen Sie ziemlich allein.« Er wischte über die bereits makellose Theke.
»Sie erinnert mich an die Apotheke meines Vaters.«
»Ach so! Ich hoffe, bei ihm geht es lebhafter zu.«
»Ja. Aber er ist auch der einzige Apotheker in unserem Dorf.«
»Wirklich? Darf ich fragen, wie das Dorf heißt?«
»Bedsley Priors. In Wiltshire.«
»Das kenne ich!« Er wandte sich an die junge Frau. »Deine Großeltern leben ganz in der Nähe, Polly.«
»In Little Bedwyn.« Das Mädchen lächelte. »Kennen Sie es?«
»Ja, ich kenne es gut.«
»Ich habe viele glückliche Stunden bei meinen Großeltern in dem schönen Tal verbracht.«
Lilly lächelte angesichts der Wärme, mit der diese Worte gesprochen wurden.
»Als ich von dort wegging«, sagte Mr Lippert und schwang einen alten Stößel, »dachte ich, dass es nur für kurze Zeit sein würde. Aber die Möglichkeiten hier in London waren einfach zu verlockend. Allerdings – nun, Sie sehen ja, wie es jetzt ist.« Er deutete zum Fenster. »Mein Sohn meint, wenn ich wettbewerbsfähig bleiben will, muss ich Veränderungen vornehmen – meine Ausrüstung, Auslagen und Etiketten modernisieren, die neuesten exotischen Arzneimittel aus Indien bestellen und alle gängigen Präparate vorrätig halten. Er ist Geschäftsmann, mein Sohn. Leider zieht er das Transportgewerbe der Medizin vor. Polly ist da anders. Der Tuchhändler hier am Ort hat ihr eine Stellung angeboten, aber sie will nichts davon hören.«
»Mir gefällt es hier, Vater. Oder möchtest du mich loswerden?«
»Natürlich nicht, Liebes. Außerdem glaube ich, dass der Tuchhändler eher eine Frau als eine Angestellte sucht.«
Polly lächelte ironisch. »An dieser Stellung habe ich genauso wenig Interesse.«
Lilly hörte draußen jemand rufen und trat ans Fenster. Interessiert beobachtete sie einen Mann mit einem Marktkarren. Er kam die Straße entlang, hielt eine Flasche in die Höhe und verkündete mit lauter Stimme die Segnungen des Tranks, ganz wie ein Erweckungsprediger.
»Wer ist das?«
Polly blickte auf. »Einer von diesen selbst ernannten Ärzten.«
»Ich würde ihn eher als Schwindler oder Quacksalber bezeichnen«, sagte Mr Lippert.
»Was verkauft er denn da?«
»Lady Rutger's Aufbaumittel. Er will mir keine Auskunft geben, was es enthält. Behauptet, er habe es zum Patent angemeldet. Ich bin überzeugt, dass es völlig wirkungslos ist.«
»Sie verkaufen es hier nicht, oder?«
Der alte Mann sah verärgert aus. »Leider doch. Mein Sohn sagt, wenn die Kunden es wollen, muss ich es auch verkaufen.« Er ging quer durch den kleinen Laden, nahm eine Flasche aus einem Regal und reichte sie ihr. »Das Zeug ist sehr beliebt.«
Sie betrachtete das Etikett. »Keine Liste mit den Inhaltsstoffen. Keine Dosierungsanleitung, keine Warnungen vor Nebenwirkungen.«
»Nur Versprechungen. Ich
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