Das Geheimnis der Apothekerin
hat sich verändert .
Nach dem Gottesdienst traten viele Einwohner des Dorfes zu Lilly, um sie zu Hause willkommen zu heißen.
Francis, der in seinem Sonntagsmantel unleugbar gut aussah, verbeugte sich knapp vor ihr. »Miss Haswell. Charlie.« Damit hätte er sich ohne ein weiteres Wort zurückgezogen, wenn Charlie ihm nicht nachgerufen hätte.
»Ich habe sie heute wieder gesehen, Francis.«
Francis blieb stehen. »Wen – den rothaarigen Engel?«
Mein Haar ist nicht rot , dachte Lilly automatisch. Rotbraun oder meinetwegen auch ingwerfarben, so wie das gelb-rot-braune Gewürz, aber nicht rot. Einen Augenblick später zeigten ihre Wangen zweifellos genau die Farbe, die sie so verachtete, denn sie hatte gemerkt, dass die beiden gar nicht von ihr gesprochen hatten.
Charlie nickte. »Sie ist früh aufgestanden. Ich hatte gehofft, dass sie zur Kirche kommt.«
»Ah – gut. Aber es sind noch eine Menge andere Engel hier, Charlie.«
Francis begleitete sie nicht, sondern ging zu Miss Robbins und ihren Eltern.
Als sie draußen waren, setzte Charlie einen schäbigen Hut auf. »Ich muss jetzt nach Marlow House zurück.«
»Charlie, warte. Setz dich noch eine Minute zu mir.«
Er zögerte, erlaubte ihr aber, ihn zu einer Bank auf dem Friedhof zu führen, und setzte sich neben sie.
Sie fragte: »Möchtest du nicht wieder zurück nach Hause kommen und Vater helfen?«
Er zuckte die Achseln.
»Was ist denn, Charlie? Hast du Angst? Hat jemand in Marlow House dich erschreckt?« Sie widerstand dem Drang, ihn in den Arm zu nehmen und vor allen Schikanen zu beschützen, so wie sie es getan hatte, als er noch ein Kind war.
»Nein. Mir gefällt's dort, wirklich. Mr Timms ist ein bisschen barsch, aber ich lerne viel von ihm.«
»Aber Vater braucht dich. Du willst Vater doch helfen, oder?«
»Ja. Aber …« Charlie ließ den Kopf sinken. Aus dem abgetragenen Sonntagsmantel schauten seine Handgelenke hervor und zwischen Hosensaum und Schuhen sah man seine Knöchel. Ein groß gewachsener kleiner Junge. Doch diese Hartnäckigkeit war neu an ihm.
Sie zwang sich zu einem freundlichen Ton. »Ich werde mit Sir Henry reden, soll ich? Und ihm alles erklären.«
Wieder zuckte er die Achseln. »Es wird ihm nicht gefallen. Und ich will auch mein Wort nicht brechen.«
Sie zögerte. »Ihr habt also ein offizielles Abkommen? Eine Art Vertrag?«
»Ich bin jetzt ein Lehrling. Wie Francis es war.« Plötzlich saß er ein wenig gerader; er war ganz eindeutig stolz auf sich.
O du meine Güte . Das machte alles natürlich komplizierter.
Sie bat Charlie, wenigstens zum Tee nach Hause zu kommen. Er war einverstanden, doch sobald sie den Garten betraten, wurde er durch ein neues Hornissennest abgelenkt, das am Dachvorsprung über der Hintertür hing. Da saß er dann. Lilly war nicht so dumm, in ihn zu dringen, während er zählte, insbesondere nicht, wenn er Insekten im Flug zählte. Sie seufzte. Vielleicht war es gut so; so konnte sie zuerst allein mit ihrem Vater sprechen.
Während sie zusammen Tee tranken, fragte sie ihn nach Charlies Stellung.
Ihr Vater nickte. »Ich hatte gehört, dass sie jemand suchten, und sagte Charlie, er solle es mal probieren.«
»Aber warum?«
»Ich habe mich nicht mehr richtig um ihn kümmern können, Lilly. Ich schäme mich zwar, es zu sagen, aber so war es.« Er fuhr sich mit der Hand über die stoppeligen Wangen. »So wusste ich wenigstens, dass er nicht herumstreunte und sich verletzte oder sonst was, so seltsame Wege, wie er immer ging und herumspionierte und ich weiß nicht, was noch.«
»Er will nicht spionieren.«
Ihr Vater winkte ab. »Ich weiß, aber es wirkt so. Bedsley Priors hat sich verändert, Lilly. Es sind eine Menge neue Leute hergezogen und manche von ihnen sind recht roh. Die meisten wissen nicht, dass Charlie harmlos ist. Er könnte dabei erwischt werden, wie er irgendwelches lichtscheue Gesindel belauscht, und einen hohen Preis dafür bezahlen. Ich habe nichts dagegen, wenn sie sagen, in seinem Oberstübchen stimmt nicht alles, aber ich würde es nicht ertragen, wenn ihm etwas zustößt.«
»Natürlich nicht.«
»In Marlow House ist er wenigstens beschäftigt. Und er hat regelmäßige Mahlzeiten, was mehr ist, als ich ihm hier bieten kann.«
Sie schob die Platte mit Brot und Schinken näher zu ihm hin. »Nimm dir noch etwas.«
Er biss ein winziges Stückchen ab. »Mr Timms hat ihn als eine Art Lehrling aufgenommen. Marlow hat auf Lehrgeld verzichtet, anstelle von Lohn. Nach sechs
Weitere Kostenlose Bücher