Das Geheimnis der Apothekerin
Monaten wird er dann anfangen, etwas zu verdienen, und er hat schon fast drei hinter sich.«
»Aber jetzt …«
»Ich möchte nicht, dass er den Vertrag bricht. Keine Ahnung, was der junge Marlow dazu sagen würde. Vielleicht würde er das Lehrgeld nachfordern, weil Charlie es nicht hereingearbeitet hat, oder zumindest etwas für Kost und Logis verlangen. Es wäre nicht gut, Lilly. Es würde nicht gut aussehen, wenn Charlie jetzt geht, vor allem, wenn er ohne jede Erklärung oder Begründung geht.«
»Aber ich könnte mit ihm reden.«
»Du willst mit Roderick Marlow vernünftig reden?«
»Ich meinte Sir Henry.«
»Der überlässt alles seinem Sohn.« Er hob mit zitternder Hand den Becher hoch. »Sir Henry ist in besserer gesundheitlicher Verfassung, als ich es zurzeit bin. Aber während seiner letzten Krankheit hat er die Verwaltung des Gutes seinem Sohn übertragen. Roderick Marlow ist jetzt der Herr.«
»Aber selbst er kann nicht völlig gefühllos sein. Ich werde ihm die Lage erklären.«
»Und was genau wirst du ihm sagen?«
»Auf jeden Fall werde ich taktvoll und diskret sein, darauf kannst du dich verlassen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich zweifle nicht daran, dass du das in London gelernt hast, Liebes. Also geh zu ihm, aber nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen, wenn er sich nicht erweichen lässt.«
Charlie saß immer noch neben der Hintertür. »Charlie, ich gehe jetzt zu Mr Marlow. Ich will mal sehen, ob wir nicht eine Abmachung treffen können, damit du dort aufhören kannst. Spannst du bitte das Boot an?«
Er zögerte, nickte dann aber. »Gut.«
Sie ging schnell über den Hof zum Kaffeehaus. Mrs Mimpurse und Mary saßen an dem kleinen Küchentisch und genossen eine ihrer seltenen Pausen bei einer Tasse Tee und einem ruhigen Gespräch.
»Mrs Mimpurse, ich fahre nach Marlow House hinaus und versuche, Charlie aus seinem Vertrag herauszubekommen. Könnten Sie vielleicht irgendwann in der nächsten Stunde mal rübergehen und nach Vater schauen? Ich werde nicht lange weg sein.«
Mrs Mimpurse musterte sie von oben bis unten. »Du willst in dieser Aufmachung nach Marlow House gehen?«
Lilly sah an dem schlichten Morgenkleid hinunter, das sie nach dem Kirchgang übergestreift hatte. »Es ist ja kein gesellschaftlicher Anlass. Ich will nur etwas Geschäftliches besprechen.«
»Willst du Roderick Marlow allein mit Worten überreden?«
»Ja, natürlich.«
Mrs Mimpurse schüttelte den Kopf. »Ts, ts, Miss Lilly. Hast du denn in London nichts gelernt?«
Zwei Stunden später stand Lilly vor ihrem Frisiertisch und zog ihre Handschuhe glatt. Sie trug eines ihrer Londoner Kleider, ein Promenadenkleid aus Baumwoll-Jaconet mit einer hübschen rosafarbenen Stickerei vorn und drei Rüschenschichten über dem Saum. Darüber zog sie einen Staubmantel aus grauem Tuch, dessen weiter Ausschnitt mit rosafarbener Seide besetzt war, die ausreichend Schutz bot, wenn es nicht mehr ganz so kalt war. Sie hatte eigentlich gar nicht so viel Zeit investieren wollen, aber es hatte eine Weile gedauert, bis sie gebadet und Unterrock, Strümpfe und Korsett angezogen hatte. Mary war gekommen und hatte ihr geholfen, das Korsett zu schließen und hatte sie dann auch frisiert. Jetzt lockte sich das volle rotbraune Haar über einer Schläfe unter dem mit einem Band abgesetzten Strohhütchen. Mary hatte vorgeschlagen, dass sie eine einzelne Frucht oder Straußenfedern ansteckte, aber es wäre Lilly peinlich gewesen, so herausgeputzt durch das Dorf zu fahren.
»Danke, Mary.«
»Bist du aufgeregt?«
»Ja, sehr«, gab Lilly zu.
»Das Schlimmste, was er tun kann, ist, Nein zu sagen.«
Lilly holte tief Luft. »Wirklich?«
»Und wer könnte schon Nein zu dir sagen, so hübsch, wie du aussiehst.« Mary zögerte, fuhr dann aber schüchtern fort: »Ich weiß, dass du und dein Vater Hilfe brauchen, aber es wäre nicht schlecht, wenn Charlie bei den Marlows bliebe. Ich glaube, es gefällt ihm dort.«
»Du willst mich trösten, falls es misslingt, ich weiß. Aber ich mache mir Sorgen um Charlie. Ich würde mir um jeden Sorgen machen, der unter einem solchen Herrn arbeitet.«
»Aber … schon gut, hör nicht auf mich«, sagte Mary und ordnete ein letztes Mal die Locken an Lillys Wange.
Lilly stieg die Treppe hinunter und trat zur Hintertür hinaus. Sofort fiel ihr ins Auge, dass Charlie noch ganz genauso in den schrägen Strahlen der spätnachmittäglichen Sonne saß, wie sie ihn vor zwei Stunden verlassen hatte. Sie spähte in den Hof,
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