Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
viel zu viel Zeit, über all diese »Vielleicht« nachzudenken.
Weder Garsende noch Matthäa waren gewohnt, die Hände in den Schoß zu legen, doch in der Kapelle gab es nichts weiter für sie zu tun, als die Mahlzeiten zuzubereiten. Und nicht einmal das zur Gänze, denn für alles, was den Gebrauch eines Messers voraussetzte, hatte man den jüngsten der Söldner abgestellt.
›Wenigstens sind wir den abstoßenden Hunfrit los‹, ging es Garsende durch den Kopf, während sie sich wieder dem
Kessel zuwandte, in dem Hirse, Zwiebeln und Schmalz schwach köchelten und auf den Speck warteten, den Peppin in viel zu kleine Stücke schnitt.
Obwohl Hunfrit ihr nicht wieder zu nahegetreten war, hatte sie doch ständig seine Augen in ihrem Rücken gespürt. Wann immer sie genötigt gewesen war, ihn anzusehen, hatte sie einen Ausdruck in seinem Gesicht bemerkt, als hege er zu seiner Lust auch einen geheimen Groll, der nur eines Funkens bedurfte, um ihn gänzlich zu entfachen.
Augenscheinlich hatte man den Söldner jedoch anderswo gebraucht, und Garsende war ein Stein von der Seele gefallen, als er die Kapelle vor vier Tagen verlassen hatte. An seiner Stelle war der junge Welsche Thierry geblieben, um die Frauen und die Kisten zu bewachen, die in dem Verschlag neben der Kapelle lagerten.
Als Gefangenenwärter schien sich Thierry de Savosaint nicht wohlzufühlen, ebenso wenig behagte ihm offenbar die Gesellschaft der Söldner. Meistens hielt er sich ein wenig abseits. Doch wenn Garsende auch zuerst gehofft hatte, er würde sich vielleicht im Zweifelsfall für die Burggräfin und sie verwenden, wurde sie rasch eines Besseren belehrt. Was immer der junge Edelmann auch von der Gefangennahme zweier Frauen halten mochte, so war er dem Plan, den Ragnold und seine Leute verfolgten, doch mit offenkundig unverbrüchlicher Treue verpflichtet. Das machten die Äußerungen mehr als deutlich, die er gelegentlich fallen ließ.
Von den anderen Männern war seit jenem einen Mal vor sieben Tagen keiner mehr hier gewesen. Ein Umstand, für den Garsende ihrem Schöpfer zutiefst dankbar war, enthob sie Lothars Abwesenheit doch des quälenden Zorns, den sie so offensichtlich noch immer über seinen Verrat empfand.
»Närrin«, murmelte sie erbost, als ihr bewusst wurde, dass sie sogar jetzt diesen Ausdruck schmerzlichen Verlangens in seinen Zügen vor Augen hatte, als sie ihm im Frühjahr wieder begegnet war, während sie hier stand und den vermaledeiten Beutel umklammert hielt.
Vier der todbringenden Pilze hatte sie in der Hand hinter ihrem Rücken verborgen, als Guillaume sich nach ihr umgedreht und sie in seinem Kauderwelsch aufgefordert hatte, sich zu beeilen. Irgendwie war es ihr sogar gelungen, Hels Daumen in ihren Beutel zu stecken, ohne dass er es bemerkte. Und seither rang sie mit sich selbst, ob diese Pilze der Ausweg waren, dessen Matthäa und sie so dringend bedurften.
»Hel ist tückisch«, hatte ihre Mutter damals erklärt. »Es kann Stunden, sogar ein oder zwei Tage dauern, bevor es erste Anzeichen gibt. Doch dann ist es schon längst zu spät. Der Tod kommt unaufhaltsam, und das Sterben ist lang und qualvoll.«
›Heilige Muttergottes, ich bin doch Heilerin‹, schoss es Garsende durch den Kopf. ›Ich kann doch nicht zulassen …‹
Aber selbst wenn sie sich dazu durchringen konnte, Hels Daumen zu benutzen, was würde denn geschehen, sobald sich bei den Männern die ersten Anzeichen zeigten? Das Ungleichgewicht der Säfte, Schwarzgalligkeit, heftige Krämpfe und Erbrechen. Würde ihr Verdacht nicht sogleich auf Garsende fallen, die Heilerin, die Drude? Oder würden sie ihr Glauben schenken, wenn sie behauptete, dies alles könnten Anzeichen der Cholera sein?
Ebenso furchterregend war die Vorstellung, was die Söldner tun würden, wenn sie bemerkten, dass mit dem Mahl etwas nicht in Ordnung war. Womöglich würden sie Matthäa
und sie zwingen, ebenfalls davon zu kosten. Womöglich würde sie Matthäa und sich selbst zu einem schrecklichen Tod verurteilen?
Gab es denn wirklich keinen anderen Ausweg? Irgendeinen? Vielleicht würde man sie doch am Leben lassen, wenn das, was die Männer um Ragnold planten, gelungen war. Womöglich ließ man sie dann gehen.
» Die Heilige Lanze … Allmächtiger! Wir werden diesen Ort nicht lebend verlassen!«, gingen ihr Matthäas Worte plötzlich wieder durch den Sinn.
Mit einem leisen Aufstöhnen fuhr sich Garsende über ihre schweißnasse Stirn. Wenn das Vorhaben der Männer solche
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