Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
später hörte aber auch Joschua das Geräusch von Hufen vor dem Tor, das die Aufmerksamkeit des Mannes erregt haben musste. Der Söldner straffte sich, rührte sich jedoch nicht vom Fleck.
Einen weiteren Augenblick später schlug jemand mit der Faust gegen das Tor und rief: »Eine Botschaft für Ragnold von Langenthal.«
Zu Joschuas Entsetzen brachte der Ruf plötzlich Leben auf das Anwesen. Zwei Hörige kamen auf den Hof gelaufen, vermutlich aus dem Stall zu seiner Linken, und rannten in Richtung Tor. Gleich darauf wurde die Pforte vom Haus geöffnet. Winand von Beckenbachs magere Gestalt erschien im Eingang, und hinter ihm drang Ragnolds dröhnende Stimme auf den Hof. »Ja doch, ich komme.«
Während die Hörigen den Boten einließen und Winand ihm entgegenging, trat Ragnold aus dem Haus. Und als wäre das Übel noch nicht groß genug, folgte ihm der Falke auf dem Fuß.
Während Ragnold in Richtung des Tors weiterging, blieb Lothar von Kalborn unter dem Türsturz stehen. Mit verschränkten Armen lehnte er sich an den Pfosten und sah zu, wie Ragnold die Botschaft entgegennahm.
Kaum war das Tor hinter dem Boten zugefallen, riss Ragnold das Siegel auf.
Nur wenige Armeslängen von ihm entfernt sah Joschua zu, wie Ragnolds schiefe Nase zu zucken begann, sein
Gesicht hochrot anlief und seine Augen schmal wurden. Schließlich warf er das Pergament zornentbrannt auf den Boden und brüllte: »Verflucht, das soll er mir büßen!«
»Was ist passiert?«, rief der schmalbrüstige Winand und lief auf Ragnold zu, während der Falke sich vom Türpfosten abstieß. Nur der Söldner war stehen geblieben, sah jedoch ebenfalls zu Ragnold herüber.
»Unser Vorhaben ist gescheitert«, knirschte Ragnold. »Le Grand Seigneur hat gestern Nachricht erhalten, dass Bandolf von Leyen einen unserer wichtigsten Mittelsmänner im Harudengau entlarvt und dingfest gemacht hat. Inzwischen dürfte der König über unseren Plan Bescheid wissen und Maßnahmen getroffen haben. Uns bleiben nur wenige Stunden, um zu retten, was noch zu retten ist, und zu verschwinden.«
»Aber … aber … das … kann doch nicht sein«, hörte Joschua den jungen Winand stammeln, während sich Ragnolds Stimme immer noch in seine Gedanken zu bohren schien. Das Vorhaben gescheitert. Zu retten, was zu retten ist. Himmel! Die Heilerin … die Burggräfin …!
Ich muss hier weg! Jetzt müssen wir etwas tun! Rasch!
Aufgewühlt starrte er auf die Männer, die sich keine zehn Schritte von ihm entfernt um Ragnold geschart hatten. Dann biss er sich verzweifelt auf die Lippe. Sobald er sich rührte, würden sie ihn haben. Er musste warten.
»Was ist mit dem Kleinod …. Wie konnte der Burggraf erfahren …?«, drang Winands ängstliches Stottern in seine Gedanken.
»Woher soll ich das wissen?«, fuhr Ragnold ihn an.
»Ich hatte Euch gewarnt, dass er nicht locker lassen würde«, bemerkte Lothar mit einem spöttischen Lächeln.
»Behaltet Eure Weisheit für Euch«, knurrte Ragnold zornig. »Wir haben just Dringlicheres zu tun.«
»Gewiss«, pflichtete Lothar ihm gelassen bei. »Und was genau schwebt Euch vor?«
Einen Augenblick hatte es den Anschein, als wolle Ragnold sich mit geballten Fäusten auf den Falken stürzen und könne sich nur mit Mühe zurückhalten, seinen Zorn an ihm auszulassen. Mit fragend hochgezogener Braue erwiderte Lothar seinen Blick.
»Wir werden tun, was nötig ist«, presste Ragnold endlich hervor. »Ihr und Winand werdet Euch um die Waffen kümmern. Nehmt den Karren und ladet auf, was immer Ihr könnt. Ich habe für den Notfall vorgesorgt. Hinter der Rheininsel liegt außerhalb des Hafens ein Boot vor Anker bereit. Damit schafft Ihr die Waffen flussabwärts, Richtung Basel. Und beeilt Euch!«
Offenbar froh, dem aufgebrachten Ragnold aus den Augen zu kommen, drehte Winand sich fluchtartig um und rannte in Richtung Stall.
Der Falke jedoch blieb stehen. »Und was werdet Ihr tun?«
Ragnold hatte bereits kehrtgemacht. »Ich werde hier unsere Spuren beseitigen und dann mit Hunfrit zur Kapelle reiten«, rief er unwirsch über seine Schulter zurück. »Le Grand Seigneur ist ebenfalls auf dem Weg dorthin. Und jetzt beeilt Euch und schafft die Kisten zum Boot!«
Ohne Lothar von Kalborn einen weiteren Blick zu gönnen, bedeutete er dem Söldner, ihm zu folgen, und lief ins Haus zurück.
Mit schmalen Augen sah der Falke den beiden Männern nach. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, bückte er sich rasch und hob das Schriftstück auf,
Weitere Kostenlose Bücher