Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
einem Juden nicht glauben«, meinte er.
»Dann solltest du vielleicht den Anfang machen.«
»Womit?«
»Nun ja, der Heilerin ein wenig Vertrauen entgegenzubringen. Vielleicht weiß sie einen Rat.«
Joschua hob zweifelnd die Brauen. Wohl wusste er den Rat seines eigenen Weibes zu schätzen, doch Rifka war nicht nur eine gute Tochter Israels. Sie war auch Tochter eines Rabbi und hatte eine umfassende Bildung genossen. Die ganze Gemeinde hielt große Stücke auf sie, obgleich sie noch jung war.
Hingegen verstanden die meisten Christinnen noch nicht einmal das Latein ihrer Gebete zu lesen und zu schreiben. Und gar ein Weib, das gewöhnlich allein im Wald hauste? Was vermochte eine solche Frau ihm Rat zu bieten?
Rifka musste ihm die Zweifel im Gesicht abgelesen haben. »Du zögerst?«, fragte sie und lächelte ihn gewinnend an.
Unwillkürlich erwiderte er ihr Lächeln. »Wenn du mir so zurätst, was bleibt mir anderes übrig?«, gab er sich geschlagen.
KAPITEL 11
Worms, 3. Juli im Jahre des Herrn 1066
(7. Tammus im Jahr 4826 nach Erschaffung der Welt)
M ochte der Kesselflicker Diethold dem Grab auch näher sein, als ihm lieb sein konnte, so weilte er doch zweifellos noch unter den Lebenden.
Gevatter Tod hätt’ noch nicht die Sense für ihn gewetzt, wenn’s der Heilerin recht wär’, hatte er geknurrt, und sie solle sich zum Teufel scheren, wenn sie auf seinem Grab tanze, ehe er den letzten Schnaufer getan hätt’. Außerdem habe die Burggräfin nie auch nur einen Fuß über seine Schwelle gesetzt, und wer sich den üblen Scherz erlaubt hätte, das Gerücht seines Ablebens in die Welt zu setzen, davon wüssten weder er noch sein Weib.
Garsende glaubte ihnen.
Als sie den Durchlass zum Haus des Kesselflickers verließ und auf die Schwertfegergasse trat, wirbelten ihre Gedanken wild durcheinander. Man hätte sich leicht ausrechnen können, dass Matthäa die Witwe aufsuchen würde, wenn sie vom Tod des Kesselflickers erfuhr. Hatte jemand absichtlich die Nachricht vom Tod des Dietholder ausgestreut, um die Burggräfin hierher zu locken? Aber wozu? Ergab das irgendeinen Sinn?
Wind kam auf und wirbelte Staub und Unrat über den Boden, als Garsende in die Münzergasse einbog. Die Leute
auf der Gasse blickten besorgt in den Himmel, der sich zusehends verfinsterte, rafften ihre Gewänder und beschleunigten ihren Schritt. Ochsenknechte gaben dem Vieh die Rute, und Reiter trieben die Fersen in die Flanken ihrer Gäule.
Garsende nahm die plötzliche Unruhe kaum wahr. Erst als ein Blitz über den weithin sichtbaren Türmen des Doms aufzuckte und eine heftige Bö ihr das Gewand um die Beine wirbelte, merkte sie auf. Ein dicker Tropfen fiel aus dem dunklen Himmel auf ihre Wange, ein weiterer auf den trockenen Boden, der die Nässe gierig schluckte. Dann prasselte der Regen auch schon wie ein Sturzbach hernieder. Blitze jagten über die Dächer der Häuser, und Donner krachte wie die letzte Posaune zum Jüngsten Gericht. Von einem Augenblick zum nächsten war Garsende völlig durchnässt.
»Allmächtiger! Steh uns bei!«, hörte sie hinter sich eine Frau stöhnen, während sie einen Arm schützend über ihren Kopf hielt, mit der anderen Hand das Gewand raffte und auf das Tor zum Anwesen des Burggrafen zulief.
Fast hatte sie die Pforte erreicht, als sie über ein Hindernis auf dem Boden stolperte und zu stürzen drohte. Jemand griff nach ihrem Arm und hielt ihren Sturz auf.
»Habt Dank!«, japste sie.
Durch den dichten Schleier von Regen konnte sie nur schemenhaft das bärtige Gesicht eines Mannes erkennen, der sich über sie beugte. Nässe tropfte aus seinem langen dunklen Haar und dem wirren Bart, der Kinn und Wangen bedeckte. Er schien etwas sagen zu wollen, aber der Donner übertönte seine Stimme. Irgendetwas in den verschwommenen Zügen weckte eine vage Erinnerung in ihr, doch noch ehe Garsende sie einem Ereignis zuordnen konnte, hatte er sie losgelassen und ihr den Rücken zugekehrt. Gleich darauf war er im Regen verschwunden.
Das Herdfeuer in der Halle hatte noch wärmende Glut, als Garsende von einem dumpfen Stöhnen erwachte. Ihr Herz jagte, und ihre Stirn war feucht von Schweiß. Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, dass sie selbst diesen gequälten Laut ausgestoßen hatte.
›Ein Alptraum‹, dachte sie und setzte sich auf.
Filiberta, die eine Armeslänge entfernt ihr Lager hatte, drehte sich mit einem Seufzen um, doch sie erwachte nicht, und auch die anderen Hauseigenen schienen
Weitere Kostenlose Bücher