Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
werden sie niemals finden‹, dachte sie mutlos.
Ein eigentümlich fiependes Geräusch holte Garsende aus ihren düsteren Betrachtungen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie zu der finsteren Öffnung zwischen
Scheune und Haus hinüber, wo das Geräusch herzukommen schien. Tatsächlich, dort am Boden bewegte sich etwas. Was war es? Eine Ratte? Garsende runzelte die Stirn. Doch dann huschte plötzlich ein Lächeln über ihr Gesicht.
Es war ein Kätzchen, nur wenig größer als ihre Hand, das neugierig um sich schnuppernd aus dem dunklen Durchgang ins Mondlicht getapst kam. Kaum hatte es jedoch den offenen Hof erreicht, als ein grauer Schatten auf das Fellknäuel zusprang. Einen Lidschlag lang hatte Garsende den Eindruck, als würde Penelope sie mit ihren bernsteingelben Augen warnend anfunkeln, dann packte die Domkatze den kleinen Ausreißer im Nacken und trug ihn in die schützende Dunkelheit des Durchgangs zurück.
›Darum also lässt du dich nicht mehr sehen‹, dachte Garsende. ›Du verbirgst deinen Nachwuchs vor uns.‹
Als sie ins Haus zurückkehrte, um eine Schale mit kaltem Brei vom Vortag für Penelope und ihre Kätzchen zu füllen, lächelte sie noch immer. Zwar schalt sie sich eine rührselige Närrin, doch der Anblick des neuen Lebens hatte sie auf eigentümliche Weise mit frischer Kraft erfüllt.
Bevor Garsende dem Burggrafen erneut eine Botschaft in den Harudengau schicken würde, um ihn von den traurigen Ereignissen in Worms in Kenntnis zu setzen, wollte sie der Spur des Umhangs folgen und mit jenem Fischer sprechen, der behauptete, Matthäas Mantel gefunden zu haben. Der Kämmerer musste wissen, wo sie den Mann finden würde, und Garsende hatte beschlossen, gleich nach der Laudes noch einmal im Domstift vorzusprechen.
Doch die Hauseigenen hatten den Löffel für ihren Morgenbrei kaum beiseitegelegt, als die ersten Besucher eintrafen. Ungewollt sah Garsende sich gezwungen, Mitfühlende und Neugierige zu empfangen, die gekommen waren,
damit die Heilerin dem Burggrafen von Worms ihr Beileid zum Verlust seiner Gattin übermittelte. Es dauerte nicht lange, bis sie sich von der Anstrengung erschöpft fühlte, passende Erwiderungen auf all die Beileidsbekundungen zu finden und nicht voreilig mit ihren Zweifeln am Tod der Burggräfin herauszuplatzen.
»Der Jude ist wieder da«, verkündete Hildrun just, als der letzte Besucher die Halle verlassen hatte.
»Wovon sprichst du?«, fragte Garsende. Sie legte den Löffel beiseite, mit dem sie eine Kostprobe vom Eintopf für die abendliche Mahlzeit genommen hatte.
»Herrje, den Juden hatte ich völlig vergessen!«, rief Filiberta, ehe Hildrun antworten konnte. »Der war gestern schon hier und hat nach Euch gefragt.«
»Nach mir?«, vergewisserte sich Garsende erstaunt.
Soweit sie wusste, kannte sie keinen Juden. Ihr Weg führte sie nur selten ins jüdische Viertel der Stadt. Kräuter und Gewürze wie Galbanum, Myrrhe, Koriander, die jüdische Händler feilboten, waren teuer. Sie hatte nie genügend übrig, um derlei Kostbarkeiten zu erstehen, zumal die Juden ihre eigenen Heiler besaßen und ihre Dienste nicht benötigten.
»Gewiss«, bestätigte die Magd. »Er sagte, er wolle mit der Heilerin des Burggrafen sprechen. Aber Ihr seid noch nicht wieder zurück gewesen, und er wollte nicht hereinkommen und auf Euch warten.«
›Die Heilerin des Burggrafen? So heißt es jetzt? Heilige Jungfrau!‹, ging es Garsende flüchtig durch den Kopf.
Laut fragte sie: »Hat er denn seinen Namen genannt?«
Filiberta runzelte die Stirn. »Doch, ja, einen Namen hat er gesagt, nur kann ich mich just nicht darauf besinnen. Weißt du den Namen noch?« fragte sie Hildrun.
»Genau weiß ich’s auch nicht mehr«, meinte die junge
Magd, während sie die Eier vorsichtig aus dem Korb hob und in eine Holzschüssel legte. »Josua, wie in der Bibel. Und dann noch Ben und irgendwas.«
»Ben meint ›Sohn‹«, gab Werno mit offenkundigem Stolz auf sein Wissen zum Besten. »Die Juden nennen sich immer ›Sohn von Irgendwem‹.«
»Und wenn es Töchter sind?«, fragte Hildrun.
»Mumpitz«, warf Filiberta ein, ehe der Hausmeier antworten konnte. »Ben kommt von Benjamin. Und das steht auch in der Bibel.«
Werno schnaubte. »Pah! Dann hießen ja alle Juden Benjamin. «
»Und wenn’s denn so wäre?«, hörte Garsende Filiberta noch gereizt erwidern, dann war sie aus der Tür.
Den Blick zu Boden gerichtet, schritt der junge Jude vor dem Tor auf und ab, als Garsende
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