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Das Geheimnis der Burggräfin - Roman

Das Geheimnis der Burggräfin - Roman

Titel: Das Geheimnis der Burggräfin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Größen. Enttäuscht zog sie das Pförtchen wieder zu, schob das Brett davor und ging weiter. Das Gässchen machte eine scharfe Biegung nach links, und morsche Verschläge, niedrige Scheunen und Ställe lösten die Holzfassaden der Häuser ab.
    Kaum war Garsende um die Ecke gebogen, hörte sie hinter sich eine Stimme. »Wartet auf mich!«
    Überrascht drehte sie sich um und sah Joschua ben Jehuda auf sich zueilen.
    »Ich hielt es doch für besser, Euch zu begleiten«, erklärte er, noch ein wenig außer Atem, während die Schläfenlocken um seine geröteten Wangen tanzten.
    »Wolltet Ihr nicht nach Hause?«

    »Man hat uns zusammen gesehen«, meinte er. »Und solltet Ihr hier ebenso spurlos verschwinden wie die Burggräfin, was glaubt Ihr wohl, wem man die Schuld dafür zuweisen würde?«
    Mit einem erheiterten Auflachen schüttelte Garsende den Kopf. »Ich fürchte, Ihr sorgt Euch umsonst. Meinem Verschwinden würde man kaum denselben Wert beimessen wie dem der Burggräfin.«
    Zum ersten Mal seit ihrer kurzen Bekanntschaft sah sie den jungen Juden lächeln.
    »Rabbi Meir sagt: Mit dem Maße, mit dem der Mensch misst, wird ihm wieder gemessen. Und die Rabbiner lehren: Wer seinen Nächsten günstig beurteilt, wird auch günstig gerichtet«, antwortete er.
    Unwillkürlich erwiderte Garsende sein Lächeln. Mochte er ja auch ein Heide sein, war sie doch dankbar für seine Begleitung. »Schön, dann kommt. Zwei Paar Augen sehen sicher mehr als nur eines.«
    Sie ging voraus, blieb jedoch nach jedem zweiten Schritt stehen, um in Öffnungen, Nischen und Spalten hineinzusehen, die zwischen den Wänden klafften.
    »Ihr sagtet, Euer Vater sei ein Kaufmann. Geht Ihr gleichfalls seinem Gewerbe nach?«, fragte sie beiläufig, während sie einen weiteren Verschlag öffnete, um hineinzusehen.
    »Mein Vater ist wohlhabend, das erlaubt mir, mich ganz dem Studium der Tora zu widmen«, antwortete er und fragte mit demselben Atemzug: »Sagt, ist das eigentlich statthaft, was Ihr da treibt?«
    Seine Stimme klang unruhig, und Garsende warf ihm über ihre Schulter einen raschen Blick zu. »Nein, ich fürchte nicht.«
    »Und was geschieht, wenn man uns ertappt?«
    »Hier gibt es nichts außer Spinnweben und leeres Sacktuch.
« Seufzend schloss sie den Verschlag, ohne auf seine Frage zu antworten. »Lasst uns weitergehen.«
    »Was ist die Tora?« erkundigte sie sich nach einer Weile.
    »Man könnte vielleicht sagen, es ist unsere Bibel.«
    »Und wie lange werdet Ihr sie noch studieren?«
    »Mein Leben lang.«
    Neugierig geworden, drehte sie sich nach ihm um. »Dann wollt Ihr etwas dergleichen wie ein Geistlicher werden? «
    Er lächelte. »Es geht nicht darum, irgendetwas zu werden. Der Zweck ist das Lernen selbst.«
    Wieder machte das schmale Gässchen eine Biegung, verbreiterte sich zu einem kleinen Vorplatz und endete, flankiert von einem Hühnerstall und einem kleineren Schuppen, beim Eingang der Scheune, deren Seitenwand Garsende vom Hof des Kesselflickers aus gesehen hatte. Ein Steg zwischen Hühnerstall und Scheune führte über den schwach plätschernden Eisbach, der offenbar unmittelbar hinter der Scheune vorbeifloss.
    Mit dem Rücken an die Holzwand gelehnt, wachte ein kräftig gebauter Knecht vor dem Scheunentor. Im Gürtel seines Kittels steckte ein dicker Knüppel. Als er die Heilerin und den Juden bemerkte, stieß er sich von der Wand ab, legte wie beiläufig eine Hand auf den Knüppel und starrte Garsende und Jehuda mit abweisender Miene entgegen.
    Abrupt machte Garsende kehrt. »Ich habe Euch doch gleich gesagt, dass es hier nicht zum Hufschmied geht«, rief sie laut und warf Joschua einen beschwörenden Blick zu. »Es ist das übernächste Gässchen. Doch Ihr wolltet es ja besser wissen.« Rasch packte sie den offenkundig verblüfften Joschua am Arm und zerrte ihn in den schmalen Durchgang zurück.

    Heftig machte er sich los. »Was, in aller Welt …?«
    »Scht!«, zischelte sie und hastete, ohne sich noch einmal umzuschauen, den Weg zurück, den sie gekommen waren.
    Erst als sie das Ende des Gässchens erreicht hatten, machte sie Halt und drehte sich um.
    »Was ist denn nur in Euch gefahren?« rief Joschua, der gleich nach ihr aus dem Durchlass auf die Schwertfegergasse stolperte.
    »Ich habe mich gestern schon in den Gässchen hier umgeschaut«, stieß Garsende atemlos hervor. »Auch in diesem bin ich gewesen, und wie eben stand ein Knecht vor der Scheune. Als er mich sah, drohte er mir mit seinem Knüppel und knurrte,

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