Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Gedanken daran zu verschwenden.
Furcht durchflutete Garsende wie ein kalter Strom und schien sie völlig zu lähmen. Kraftlos hing sie in seinem Arm. Ihre Füße schleiften über den Boden, bis ihr Schienbein an ein Hindernis stieß. Gegen die Pein in ihrem Kopf war der Schmerz gering, doch er brachte sie zur Besinnung.
Wie ein Karnickel ließ sie sich von Lothar zur Schlachtbank schleifen!
Unvermittelt packte Garsende rasender Zorn, der ebenso ihm galt wie ihr selbst, überschwemmte ihre Angst und schien ihr Kraft zu verleihen. Mit einem Ruck straffte sie sich und warf sich mit ihrem ganzen Körper gegen ihn.
Offenkundig überrascht, strauchelte er. Sein Griff lockerte sich, sie riss sich los und stolperte vorwärts, ohne recht zu sehen, wohin. Aber Lothar war schneller.
Sein leises Lachen schien sie zu verhöhnen, als sich seine Arme wieder wie eine Schraubzwinge um ihren Leib schlossen. Garsende schrie. Für einen Augenblick wand sie sich wie toll, bis ihr klar wurde, dass sie ihre Kräfte verschwendete. Abrupt hielt sie still und zwang sich, ihn anzusehen.
»Du siehst aus, als hättest du versucht, einen Stier zu küssen«, bemerkte er trocken.
Dann erstarrten seine Züge zur finsteren Maske. Garsende spürte einen Schlag im Genick und sank lautlos zusammen.
KAPITEL 14
Worms, 7. Tammus im Jahre 4826
nach Erschaffung der Welt
(3. Juli im Jahre des Herrn 1066)
W ie im Nebel taumelte Joschua durch den schmalen Durchlass, während seine Gedanken wieder und wieder um die Geschehnisse in der Scheune kreisten. Im schwindenden Tageslicht vermochte er nur noch undeutliche Umrisse der Scheunenwände und Verschläge zu erkennen, die das enge Gässchen säumten. Einige Male stolperte er über ein unsichtbares Hindernis und fiel, doch jedes Mal rappelte er sich sogleich wieder auf, ohne den Schmerz in seinen aufgeschürften Händen wahrzunehmen.
Starr vor Entsetzen hatte er beobachtet, wie der Welsche die Heilerin zu den Männern geschleift und vor dem Gedrungenen zu Boden geworfen hatte. Hilflos hatte er mitansehen müssen, wie der Söldner Garsende kaltblütig niedertrat. Aber als der große Hagere den Söldner gepackt und zurückgerissen hatte, war wieder Leben in Joschua gekommen. Mit eigentümlicher Schärfe hatte er beobachtet, wie Blut aus der Wunde in Garsendes Haar sickerte, wie sich das Licht der Lampen auf Winands Fibel spiegelte, wie sich Ragnolds breite Züge rot färbten, als er den Welschen wegen seiner übereilten Tat anbrüllte. Und mit einem Mal hatte Joschua heftiger Zorn auf diese Männer erfasst, die
sein Heim, seinen Vater, die Sicherheit seiner Gemeinde und nun auch noch die Heilerin und ihn selbst bedrohten. Der Zorn hatte ihn auf die Beine getrieben, bereit, sich blindwütig auf sie zu stürzen. Bevor er die Torheit jedoch begehen konnte, hatte die Vernunft ihn eingeholt. Gegen diese Männer konnte er allein nichts ausrichten. Er musste Hilfe herbeischaffen. Er musste hier weg, bevor sie auch ihn entdecken würden.
Und während die Männer begonnen hatten, sich darüber zu streiten, was nun mit der Heilerin geschehen sollte, war er wie traumwandelnd rückwärts von Stapel zu Stapel gekrochen und schließlich durch die Pforte nach draußen geschlüpft.
Erst als er die Judengasse schon fast erreicht hatte, wunderte er sich darüber, dass die Pforte nicht mehr verriegelt gewesen war, und dankte stumm seinem Schöpfer für den Engel, der sie für ihn geöffnet hatte.
»Oh lieber Himmel, was ist passiert?« Bei seinem Eintritt in die Stube ließ Rifka ihre Spindel fallen und kam ihm mit weit aufgerissenen Augen entgegengeeilt.
»Sie haben sie erwischt. Ich hätte sie niemals … Es ist meine Schuld«, stammelte Joschua, während Rifka seinen Arm packte und ihn zu der Bank zog, die in der Wand der Stube eingelassen war. Sanft nötigte sie ihn, sich zu setzen.
Erschöpft schloss Joschua die Augen und lehnte seinen Rücken an die Wand.
»Hannah! Hannah!«, hörte er Rifka nach der Magd rufen. »Ich brauche eine Schale Wasser und ein sauberes Tuch! Und dann bring Brot und Käse und einen Becher mit Wein.«
»Oi Gwalt! Was ist passiert?«, kreischte Hannah. »Der Herr sieht ja zum Fürchten aus.«
»Hast du nicht gehört, was ich dir gesagt habe?«, fuhr Rifka die Magd ungehalten an.
Joschua spürte ihre Hand über seine Wange streichen und öffnete die Augen. »Sie werden sie töten«, sagte er dumpf. »Das werde ich mir niemals verzeihen.«
Rasch kniete sie sich vor ihn nieder,
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