Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
sich durch einen langen Bericht ablenken zu können. Seine Kehle war trocken, und er nahm einen tiefen Schluck Wein. Carlo tat es ihm nach. Er sagte nichts, sondern schien ganz in Gedanken versunken zu sein. Dann hellte sich seine Miene plötzlich auf, und er grinste.
»Ist Bella wirklich so hübsch, oder sagst du das nur, weil du dich verliebt hast?«
»Sie ist wunderschön. Glaub mir. Und sie hat ein braunes und ein blaues Auge. Ist dir das damals aufgefallen? Mir nicht.«
»Doch«, erwiderte Carlo, »mir schon. Und auch unser Vater weiß davon.«
Nachdem der nächste Morgen ohne ein Lebenszeichen des Conte vergangen war, suchte Paolo seine Stiefmutter auf. Auch ihr war anzusehen, dass sie sich große Sorgen machte.
»Wir müssen ihn suchen, aber ich weiß nicht, wo.« Unruhig lief der junge Adelige vor den Fenstern ihres Gemaches auf und ab. »Wo würdet Ihr hingehen, Donata?«
Die Contessa überlegte. An die Küste, dachte sie, in die Dünen … Laut sagte Donata:
»An einen Platz, an dem ich glücklich war. Aber ich kenne deinen Vater zu wenig, um zu wissen, wo er glücklich war. Mit mir war er es wohl nirgends.«
Die letzten Worte klangen traurig. Paolo nahm ihre Hand.
»Es muss endlich aufhören, Donata. Ich habe immer geschwiegen aus Respekt vor meinem Vater, aber nun ist es genug. Wenn er wieder da ist, spreche ich mit ihm.«
Donna Donata lächelte. Ascanios Sohn stand ihr nahe.
»Vielleicht gibt es einen Ort, an dem deine Eltern glücklich waren«, überlegte sie laut.
Paolo blieb stehen. Er nickte heftig mit dem Kopf.
»Die Lagune. Die Lagune bei Massarosa.«
Mit schnellen Schritten ging er zur Tür, öffnete sie.
»Danke«, sagte er und lächelte Donata an, dann war er auch schon verschwunden.
Im Morgengrauen kehrte der Suchtrupp zurück. Sie hatten ihn gefunden. Donata lief sofort zum Fenster, als sie das laute Schreien der Männer hörte. Schnell warf sie sich eine Decke über und rannte in den Hof. Mahmut kam ebenfalls herbeigeeilt und betrachtete voller Bestürzung die provisorische Trage, auf der sein Herr lag. Er lebte, aber er war nicht bei Bewusstsein, das war schnell zu erkennen. Der Araber stöhnte auf und kniete neben der Trage, nahm die Hand des Conte. Sie war heiß wie die eines Fiebernden. Nun war auch Paolo da. Ohne ein Wort der Begrüßung trat er auf Donata zu und nahm sie in den Arm.
»Ich weiß, Ihr liebt ihn nicht, und Vater hat alles getan, damit das so ist, aber ich bitte Euch: Versöhnt Euch mit ihm. Seine Zeit läuft ab.«
Ungläubig starrte die Contessa ihren Stiefsohn an.
»Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Mahmut soll einen Arzt holen, und du erzählst mir inzwischen, was geschehen ist.«
Sie fasste seine Hand, so wie sie es in seinen Kindertagen gemacht hatte, und nahm ihn mit in ihr Gemach. Carlo sah ihnen voll wissender Traurigkeit hinterher.
»Wir haben ihn ungefähr zwei Stunden südlich von hier gefunden, in der Macchia. Er muss schon länger dort gelegen haben, verletzt. Sein Pferd hatte ihn unter sich begraben …« Paolo schluckte. Dann fuhr er fort: »Keine Räuber, es war ein Unfall. Der Gaul hat ihm die Beine zerquetscht und den Rücken dazu. Und dann die Hitze, der Durst. Er hat uns nicht erkannt, als wir mit ihm sprachen.«
»In der Macchia?« Die Contessa runzelte die Stirn. Einen Menschen dort zu finden war so schwierig wie eine Nadel im Heuhaufen zu entdecken. »Wie habt Ihr ihn gefunden?«
Paolo stöhnte auf. Er war sichtlich bewegt.
»Ein Buttero kam uns entgegen. Er sagte, er habe jemanden entdeckt, könne aber allein nicht helfen. Ein glücklicher Zufall, denke ich.«
Das glaube ich nicht, dachte die Contessa, doch es war nicht der passende Zeitpunkt, über ihren Verdacht zu sprechen. Deshalb sagte sie nur: »Ein Glück, ja. Aber lass uns jetzt nach deinem Vater sehen.«
Als sie das Gemach des Conte betrat, nahm sie sofort den Geruch des nahen Todes wahr. Alles, was sterben musste, roch so. Bei Gabriella war es genauso gewesen. Mahmut saß am Lager seines Herrn und hielt seine Hand. Auf der anderen Seite des Bettes stand Carlo.
»Der Prete müsste gleich da sein«, sagte er leise. In seinen Augen glitzerten Tränen. Paolo trat auf ihn zu und umarmte den Jüngeren.
»Wir müssen stark sein«, flüsterte er ihm zu, »unser Vater erwartet das von uns.«
Carlo nickte und setzte sich ans Bett. Nun trat die Contessa an das Lager ihres Gemahls. Jede Farbe war aus seinem Gesicht gewichen; die Wangen waren eingefallen, die Lippen
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