Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
entziehen. Es musste etwas Schreckliches passiert sein, wenn der Vogt in der Sommerhitze nach Lucca kam, um ihn vertraulich zu sprechen.
»So ist es, Rocco.«
Martini spürte, dass er das Mitleid und das Interesse des Kochs geweckt hatte. Nun musste alles schnell gehen, bevor der andere auf den Gedanken kam, Fragen zu stellen. Er zog einen versiegelten Brief zwischen all dem Gemüse hervor und gab ihn Rocco.
»Dieser Brief ist für den Conte. Und nur für ihn. Du kennst mich nicht. Ich bin nur ein Bauer, der ihn dir gegeben hat. Das ist alles. Hast du mich verstanden?«
Rocco nickte verwirrt und verbarg den Brief unter seiner Schürze. Martini hatte inzwischen sein Maultier am Zügel genommen und wandte sich zum Gehen. Der Koch blickte ihn immer noch verwundert an.
»Nun geh schon«, sagte der Vogt, »beeil dich. Es geht um Leben und Tod!«
Er drehte sich grußlos um und hörte, wie Rocco zum Palazzo zurücklief. Zufrieden mit sich schnalzte er mit der Zunge. Er freute sich schon darauf, im nächsten Dorf einzukehren. Gebratenes Ochsenfleisch und Dolceforte … beim Gedanken daran lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
Rocco musste nicht lange warten. Mahmut kam öfters in die Küche, um für seinen Herrn Früchte oder Wein zu holen. So auch heute. Als der Araber die Küche betrat, machte ihm Rocco ein Zeichen und trat mit ihm hinaus in den Kräutergarten.
»Gerade war ein Bauer da. Er hat mir diesen Brief gegeben und sagte, er sei für unseren Conte.«
Der Koch war froh, das Dokument los zu sein.
»Ein Bauer?«, fragte Mahmut nach. Rocco nickte.
»Mit einem Maultier und Gemüsekörben.«
Der Leibdiener des Conte sah den Koch prüfend an. Rocco hielt seinem Blick stand und wartete, was nun passieren würde.
Der andere nickte und betrachtete immer wieder das Siegel des Briefes.
»Ein Bauer also«, sagte er mehr zu sich als zu dem Koch und wandte sich mit einer Verbeugung zum Gehen. Kaum war er außer Sichtweite, erbrach er das Siegel. Was er las, war ungeheuerlich. Martini beschuldigte ihn, den Leibdiener des Grafen, einen Überfall gegen seinen Herrn zu planen. Mahmut zerriss das Papier in viele kleine Fetzen. Diese Laus wollte ihn verleumden. Es war an der Zeit, ihn endgültig zum Schweigen zu bringen.
20. KAPITEL
A scanio di Cavalli war bis nach Massarosa geritten. Der Weg durch die Versilia, eine Landschaft, ähnlich sumpfig wie die Maremma ein Stück weiter südlich, hatte ihn viel Kraft gekostet. Nun war er endlich angekommen. Der Lago di Massaciuccoli breitete sich einladend vor ihm aus.
Am frühen Morgen war er in aller Stille aufgebrochen, nicht einmal seinem Leibdiener hatte er etwas gesagt. Nun war es bereits Nachmittag. Nachdem er sein Pferd getränkt hatte, ließ er sich am Ufer der Lagune nieder und betrachtete das Spiel der Sonnenstrahlen auf den sanften Wellen. So konnte es nicht weitergehen. Erst der Tod Vivicas, dann der Verrat Donatas, und nun hatte sich Paolo von ihm abgewandt. Der Brief, den er ihm hinterlassen hatte, war voller Vorwürfe. Seit drei Wochen hatte er nichts von seinem Sohn gehört. Gewiss war er gut in Siena angekommen, aber Ascanios Stolz hatte ihn bislang davon abgehalten, einen Boten zu senden und sich berichten zu lassen.
Er betrachtete seine Hände. Mit diesen Händen hatte er etwas Schreckliches getan, einen Leichnam geschändet – er hatte auf eine Totgeburt eingestochen, den kleinen bläulichen Leib mit dem Dolch durchbohrt. Aber er hatte das Mädchen nicht getötet … das Kind der Ehebrecherin lebte, und Donata, diese Hure, wusste es. Die Hebamme hatte durch Gabriella von einer Familie erfahren, deren Kind tot zur Welt kam … Sollte er ahnen, dass es Gabriellas Nichte war, der Mahmut den Säugling überbrachte? Nein. Er war kein Weib, er dachte nicht so … Und doch: Wurde es nicht endlich Zeit für Vergebung? Donata … Wir haben so viele Jahre gelitten aneinander, ich habe sie verflucht und missachtet in meinem Zorn, und nun, wo meine Augen um Erlösung flehen, sieht sie durch mich hindurch, als gäbe es mich nicht.
Ascanio schaute seinem Pferd zu, wie es friedlich graste, und sofort war es da, das Bild, an das er so oft dachte. Vivica und er waren gern gemeinsam geritten; die Ausflüge zum Lago di Massaciuccoli zählten zu seinen schönsten Erinnerungen. Nicht weit von der Stelle, wo er nun saß, hatten sie Rast gemacht, gelacht, einander Geschichten erzählt. Sie hatten sich gehalten, einander Lust und Wonne geschenkt … Vivica, dachte er bitter,
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