Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
aber seine Genesung machte langsame Fortschritte.
Sie setzte sich zu ihm und nahm seine Hand. Ascanio schenkte ihr einen dankbaren Blick, dann schlief er wieder ein. Donata ließ die letzten Wochen vor ihrem inneren Auge noch einmal vorbeiziehen. Sie hatte sich zu ihm gelegt, nach seinem Unfall, und sie hatten geredet. Der Prete war gekommen und hatte ihm im Beisein der Söhne die heiligen Sakramente erteilt. Donata war bei ihm geblieben, die ganze Nacht und den folgenden Tag, hatte an seiner Seite gelegen und seinen Schlaf bewacht und auf das Ende gewartet. Aber Ascanio ging nicht von ihnen. Er schlief viel, und wenn er wach war und Donata neben sich spürte, begann er zu erzählen. Und er bat sie um Vergebung, immer wieder.
Als es ihm etwas besser ging, übergab er seine Herrschaftsprivilegien an Paolo, der sofort die Allianz mit Siena bestätigte. Hatte man wissen können, dass in so kurzer Zeit der Ernstfall eintreten und die Loyalität Luccas gefragt sein würde? Donata drückte die Hand ihres Mannes und sah in das entspannte Gesicht. Sie liebte ihn nicht, aber sie spürte etwas wie traurige Zärtlichkeit für ihn, weil sie beide ihr Leben aneinander vergeudet hatten in Hass und Gleichgültigkeit. Vorsichtig versuchte sie ihre Hand aus der des Schlafenden zu lösen, aber Ascanio murmelte etwas und hielt sie fest.
Donata blickte sich in seinem Gemach um. Die Besuche hier in den Jahren vor dem Unfall ließen sich an einer Hand abzählen, und sie war jedes Mal froh gewesen, wieder gehen zu können. Doch in der Zeit hier an seinem Bett hatte sie entdeckt, womit sich Ascanio in seinen einsamen Stunden beschäftigte. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raumes lagen viele Bücher; einige sogar aufgeschlagen. Es waren geografische Werke, Atlanten, philosophische Schriften. Daneben einzelne Blätter mit der Aufstellung von Steuern und den Abgaben für die Stadtmauer, peinlich genau nach Jahren geordnet. Briefe hatte sie gefunden, Briefe der Nobili, die so oft an ihrem Hof geweilt hatten. Manche enthielten politische Bekundungen, und allen war zu entnehmen, dass die Edlen dem Conte mit Unverständnis begegneten, weil er sich in all den Jahren keiner Allianz anschließen wollte. In einem mit Schlangenleder bezogenen Kästchen schließlich hatte sie die Briefe von Vivica entdeckt. Die Tinte war an vielen Stellen verblasst; an manchen Zeilen waren Flecken wie von Tropfen. Tränen, dachte die Contessa und schloss die Schatulle ganz vorsichtig, wie um den Briefen darin nicht wehzutun. Jeder Mensch hat nur eine große Liebe, ging es ihr durch den Sinn, und alles andere ist Einsamkeit.
Ein Klopfen an der Tür holte die Gräfin aus ihren Gedanken zurück. Es war Mahmut. Der Araber trat leise ein und verbeugte sich vor seiner Contessa. Dann ließ er eine Dienerin an sich vorbei in das Gemach treten. Sie trug eine Auswahl an Speisen und Getränken auf einem lederbezogenen Tablett und stellte alles, ohne laute Geräusche zu machen, auf dem Tisch ab. Nachdem sie das Zimmer wieder verlassen hatte, verbeugte sich der Diener des Conte mit einem Lächeln und wollte sich ebenfalls entfernen, doch Donata sprach ihn an.
»Ich glaube nicht an einen Unfall«, sagte sie geradeheraus und überzeugte sich mit einem Blick, dass ihr Gemahl schlief. Der Araber schaute überrascht und trat auf die Contessa zu.
»Was veranlasst Euch zu dem Gedanken, Donna Donata?«, fragte er leise. Seine Stimme klang besorgt.
»Ich kenne die Maremma und die Macchia gut genug, um zu wissen, dass es unmöglich ist, dort jemanden zu finden. Leider kann sich der Conte an nichts erinnern. Aber wer weiß – vielleicht kommt sein Gedächtnis zurück, und dann sehen wir weiter.«
Mahmut nickte, er schien nachzudenken.
»Weiß man, wer der Buttero ist, der meinen Gemahl gefunden haben will?«
In Donatas Ton lag eine Schärfe, die der Diener von ihr nicht kannte. Sofort konzentrierte er sich.
»Verzeiht mir, Contessa, in der ganzen Aufregung habe ich es versäumt, mich darum zu kümmern. Wenn der junge Conte wieder da ist …«
Hilflos hob er die Arme. Donata nickte und bedeutete ihm zu gehen. Bis Paolo wieder da ist, dachte sie, und ein Gefühl der Angst stieg in ihr hoch, das kann lange dauern.
Langsam stand sie auf und ging zu dem Tisch, auf dem die Speisen standen. Als sie das Leinentuch von einer der Schüsseln zog, stieg ihr der Duft von gebratenen Kalmaren entgegen. Sie lächelte. Immer wenn Rocco diese Speise kochte, musste sie an ihre Tochter denken
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