Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Geschichte zu erzählen, denn er machte wilde Gesten, und seine Stimme wurde hin und wieder so laut, dass der andere beruhigend auf ihn einredete. Immer wieder blickten die beiden zu Bella herüber; sie war offenbar ein Teil dieser Geschichte, und schließlich winkten sie auch den anderen Zigeuner zu sich, der bislang regungslos neben dem Mädchen gestanden und wie abwesend in die Glut geschaut hatte. Bella wurde es unheimlich. Da braute sich etwas zusammen – dabei hatten die beiden ihr doch versprochen, sie sei sicher im Lager. Endlich waren die drei mit ihrer Unterredung fertig. Festen Schrittes kamen sie auf das Kind zu. Es war wieder der Erste, der zu sprechen begann.
»Kind«, sagte er mit seiner warmen Stimme, »hab keine Angst. Wir wissen, wer du bist. Benedetto hat uns erzählt, dass du in großer Gefahr bist. Der Stadtvogt sucht dich, es ist ein hoher Preis auf dein Leben ausgesetzt. Wir nehmen dich bei uns auf, und wir schützen dich, aber du kannst nicht als Bella mit uns kommen. Geh zu meinem Sohn, Momo, er wird dir Kleider geben. Und schneide dein Haar ab. Und beeile dich – zur siebten Stunde brechen wir auf.«
Am Mittag machte der kleine Wagentross Rast. Die Tore von Grosseto, der Vogt, die Schenke – das lag nun alles weit hinter ihnen. Bella half Momo, die Maultiere zum Fluss zu leiten, und spürte, wie die Lavendelaugen des Knaben auf ihr ruhten.
»Als Mädchen hast du mir besser gefallen«, sagte er mit ernstem Unterton, dann legte er den Kopf schief, kniff die Augen zusammen und zog die Mundwinkel nach unten. Bella errötete. Auch wenn es hier keinen Spiegel gab, in den sie hätte blicken können – sie wusste, dass sie merkwürdig aussah in den knielangen geflickten Hosen und dem viel zu kurzen Hemd, das nicht einmal bis zum Hosenbund reichte. Ihre Haare – oder das, was Momos Mutter Alondra davon übrig gelassen hatte – steckten unter einer Mütze, die sie tief in die Stirn gezogen hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich hässlich.
»Wohin ziehen wir?«, fragte sie, um das Thema von sich abzulenken.
»Nach Siena«, erwiderte Momo mit einem Seufzer, »aber der Weg ist lang. Wir bleiben in allen Dörfern und Marktflecken, solange sie uns dort haben wollen. Und das kann manchmal sehr lang sein.«
Bei seinem letzten Satz zwinkerte er ihr wissend zu, aber Bella wusste nicht, was er meinte. Sie setzte sich ans Ufer des Ombrone und wusch ihre Füße. Momo war sofort neben ihr.
»Du solltest dich auch waschen«, meinte das Mädchen, »es würde dir ganz guttun. Du riechst wie dieses Maultier hier.«
»Und ich würde mich nicht waschen, wenn ich du wäre«, erwiderte Momo altklug, »denn wenn sie dich bei uns suchen und sehen deine sauberen weißen Beine, dann haben sie dich. Kein einziger Gaukler auf der ganzen Welt hat weiße Beine. Oder saubere. Oder beides.«
Bella dachte nach. Da hatte ihr neuer Freund wohl Recht.
»Dann bin ich eben der erste«, sagte sie trotzig und watete weiter in das Wasser hinein. Verwundert sah sie, dass Momo ihr folgte.
»Es macht uns stolz, dich in unserer Mitte zu haben.«
Momos Vater, den sie Hector nannten, reichte Benedetto einen schweren Holzbecher. Benedetto sah sich um. Alle waren sie da und umringten ihn und Hector, die beide dicht am lodernden Feuer standen.
»Sein Blut kann der Mensch nicht verleugnen, und seine Ahnen auch nicht. Wer wüsste besser darum als wir. Ja, wir wussten, Benedetto, dass dieser Tag einmal kommen würde und du endlich zu einem der unseren werden würdest.«
Hector trank einen Schluck aus seinem Becher und fuhr fort:
»Denn du bist unser Fleisch, Benedetto, und unser Blut. Deine Mutter liebte einen der unseren, doch dann kam Gianni, den du als deinen Vater kennst, und sie ging mit ihm …«, Hector machte eine Pause. »Sie war ein schwaches Weib. Nun … hast du dich nie gefragt, warum er dich so seltsam ansah? Er wusste, du bist nicht sein Sohn, doch was nicht sein durfte, konnte nicht sein … Und du, Benedetto? Woher deine Liebe zu unserem Volk, zu Jolande? Deine Fertigkeiten, die Flöte zu spielen, zu tanzen, im Kartenspiel zu gewinnen? Ja, mein Sohn, sag mir, woher das alles kommt.«
Benedetto nickte stumm. Er hatte es nicht gewusst, doch aus tiefstem Herzen gehofft, dass stimmte, was Momos Vater gerade erzählt hatte. Endlich fühlte er sich nicht mehr als Aussätziger, als ungeschickter Küchenjunge, als unfolgsamer Sohn. Nein. Nun hatte er, Benedetto, seine Familie und seine Seelenruhe gefunden.
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