Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
zu, bevor sie ging.
Es war kurz nach dem Osterfest gewesen, als sie das erste Mal in Ascarello geweilt hatte, und dabei blieb es auch die folgenden Jahre. Nur heuer war sie noch nicht bei ihm gewesen, und sein Vorrat ging zur Neige. Was sollte er tun, wenn sie nie wieder in den kleinen Ort bei Siena kam? Sie war ein altes Weib. Der Tod macht auch vor guten Menschen nicht halt, dachte di Nanini und nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. Er stöhnte auf, weil die Bitterkeit des Giftes nun völlig von ihm Besitz ergriff. Dieser Rausch, in den ihn die Pilze versetzten, ermöglichte es ihm, Tag für Tag am Leben zu bleiben, Tag um Tag seine Aufgaben zu erfüllen, ohne wahnsinnig zu werden. Di Nanini atmete unter der entspannenden Wirkung tief aus und trank abermals einen Schluck Wein. Da geschah es. Der Nachthimmel schien auf einmal zu flimmern, und wunderschöne Farben lösten sich von den knorrigen Ästen der Pinien, um zu seinem Fenster zu schweben. Je näher die Farben kamen, desto schwerer wurden seine Augen. Er sehnte sich nach Schlaf. Er sehnte sich nach Liebe, nach ihrer Liebe. Unter dem Einfluss der Droge wurden seine Glieder schwer wie Blei, und er sank tief in die Brokatkissen des Sessels ein. Diese Farben … Der Principe schloss seine Augen. Um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln. Der Fürst wusste, bald würde er im Traum seine Liebste treffen.
»Hier bleiben wir – erst einmal.«
Hector war gerade zur Wagenburg zurückgekehrt. Der Vogt hatte ihnen erlaubt, ihr Lager am Fluss aufzuschlagen. Innerhalb der Stadtmauern wollte man das Völkchen jedoch nicht sehen, das hatte er unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.
»Was heißt erst mal?«, fragte Bella, die neben Momo im Gras saß, immer die saufenden Maultiere im Blick. Sie hatte sich längst an ihre neue Kleidung gewöhnt; mit diesen kurzen Hosen konnte sie viel schneller laufen, und sie schwitzte nicht so sehr wie in ihrem langen Wollrock. Es gefiel ihr recht gut so, musste sie sich eingestehen. Obwohl sie sich das Leben bei den Gauklern einfacher vorgestellt hatte. Auch hier, in dieser kleinen Gemeinschaft, hatte alles seine feste Ordnung, auf deren Einhaltung die Ältesten achteten. Arbeit gab es mehr als genug, und sie musste für ihre täglichen Mahlzeiten ebenso fleißig sein wie in Giannis Küche oder in der Schenke von Grosseto. Und trotzdem war es anders hier. Sie war Teil einer großen, starken Familie, und Momo war ihr Freund.
»Schau mal her«, Momo kitzelte sie mit einem Grashalm am Fuß und holte sie aus ihren Gedanken zurück, »deine Beine sind inzwischen genauso schmutzig wie meine.«
Er lachte sie freundlich an. Seine olivenfarbene Haut war durch die Sonne des Frühsommers noch dunkler geworden, und sein nackter Oberkörper hatte etwas Kantiges, was dem Mädchen bislang noch nicht aufgefallen war. Vielleicht lag es auch daran, dass sie ihn sonst immer nur im Hemd gesehen hatte. Er war sehr dünn, das war nun unverkennbar, aber in seinen sehnigen Gliedern steckte viel Kraft, das wusste Bella von den kleinen Balgereien, die sie manchmal untereinander austrugen. Die zwei saßen Seite an Seite, den Rücken an einen umgeknickten Baumstamm gestützt, und betrachteten ihre Beine. Bella legte den Kopf schief und zog sich ihre bunte Mütze noch tiefer ins Gesicht. Momo hatte Recht. Bis zu den Waden hoch waren die Beine voll mit Staub und Lehm.
»Wo sind wir hier eigentlich?«
Bella beschattete sich mit der Hand die Augen, um besser sehen zu können, und blickte über das träge fließende Wasser auf die andere Flussseite. Auch dort gab es nichts Besonderes zu entdecken.
»Istia. Istia d’Ombrone, genau gesagt.«
Momo kitzelte sie weiter an den Füßen.
»Warst du schon einmal hier?«, wollte das Mädchen wissen. Ihr Freund zuckte mit den Schultern und warf den Grashalm fort.
»Keine Ahnung. Irgendwie ist immer alles gleich auf diesen Reisen. Ich habe aufgehört, mir die Orte zu merken.«
Es klang traurig.
»Wann werden wir in Siena sein?«
»Warum hast du es so eilig mit Siena?«, fragte Momo zurück. »Gefällt es dir nicht bei uns? Der Sommer ist noch lang. Und wenn der Herbst kommt, sind wir in Siena, glaub mir.«
Er sah sie an und hoffte, einen Blick aus ihren zweifarbigen Augen zu erhaschen. Sie sollte sehen, dass ihm gar nicht wohl bei dem Gedanken war, nach Siena zu gelangen. Er spürte etwas wie Abschiedsschmerz.
»Lass uns zu meiner Mutter gehen. Ich habe Hunger.«
Der Junge stupste sie mit dem Ellenbogen in die
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