Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Seite und stand auf. Dann klopfte er den Sand von seinem Hut und setzte ihn auf. Eine neue Feder zierte das Band, es war von einem Bussard. Bella hatte die Feder gefunden und sie ihm geschenkt. Nun stand auch sie auf. Ihre Adlerfeder war an einem Lederband befestigt, mit dem sie die Hose zusammenhielt. Sie führten die Maultiere zu einem schattigen Platz, wo sie bis Sonnenuntergang würden weiden können, und schlenderten ohne Eile zurück in Richtung Wagenburg, um Alondra einen Rest Brot abzuschmeicheln.
Fabrizio konnte nicht schlafen. Sein Gemach lag auf der entgegengesetzten Seite zu dem seines Vaters am Ende des Saales. Von seiner großen Bettstatt aus, über der ein leuchtend roter Baldachin aus Seide hing, konnte er in den dunklen Himmel blicken. Wind war aufgekommen und wehte in den Raum. Er brachte noch mehr Verwirrung in seine Gedanken. Die Marketenderin war in seinem Kopf, in seinen Gliedern, selbst beim Atmen schien sie in ihm zu sein. Wie köstlich dieses Miteinander gewesen war, dieses Gleiten und Fließen von Kuss zu Kuss, dieses Sichanschauen, Sichhalten, diese Wogen von Zärtlichkeit und Nähe, die ihn wegtrugen an ein fremdes Ufer, das da hieß Lust. Würde er sie wiedersehen, diese raue Schöne mit den erfahrenen Händen und den wissenden Lippen, wollte er sie überhaupt jemals wiedersehen – oder sollte sie die Eine sein, an die er künftig denken würde, wenn er irgendein hässliches Weib nehmen musste, weil es der Vater wollte? Weil es Siena wollte. Weil es so sein sollte.
Der junge Mann wälzte sich in den Laken hin und her. Ein Blick zum Fenster sagte ihm, dass die Morgenröte bald ihr Licht an den Palazzound an Siena und an den Rest der Welt verschwenden würde. An einem neuen, unschuldigen Tag. Fabrizio seufzte. Dann stand er auf, ging in die Küche zu Massimo, der immer noch – oder schon wieder – unter Flüchen versuchte, das Geheimnis der Speisen aus Lucca zu entdecken, und setzte sich zu ihm. Und schon bald, es wurde hell, kamen sie herbeigeeilt, die Knechte und Mägde, die Massimo zu Diensten waren. Der junge Fürst blickte sich um und biss herzhaft in ein Stück frischgebackenes Brot. Warm und stark lag der süßliche Geschmack des reifen Korns auf seiner Zunge. Wie gut es tat, in dieser Küche zu sein, bei diesen Menschen. Aufgehoben in den Wohlgerüchen von Kräutern und Bratensaft, geborgen im geschäftigen Lärm all derer, die sich täglich um sein leibliches Wohl sorgten. Und um das des Principe.
Mit einem Gefühl neuen Wohlbehagens trat er in den Hof und wandte sich den Stallungen zu. Die Knechte lagen im Heu, wie es Sitte war. Sie hatten wohl getrunken, denn sie wachten nicht auf, als er durch den Stall schritt, um sein Pferd zu holen. Er wusste, sein Vater hätte das nicht durchgehen lassen und die Trunkenbolde bestraft. Fabrizio seufzte. Er würde nie so gut und gerecht und streng sein können wie der Fürst.
Als er den Geruch der Pferde einatmete, fielen alle Gedanken dieser Nacht von ihm ab. Seine Stute Nera war nicht mehr ganz jung, doch an Temperament mangelte es ihr nicht. Er ritt dieses Tier, solange er denken konnte. Nera war ein Maremmenpferd. Sie war folgsam und klug und suchte sich ihren Weg, auch wenn ihr Herr nicht genau wusste, wohin er sie lenken sollte. Als Nera den jungen Mann kommen hörte, prustete sie laut vor Ungeduld. Sie liebte es, am frühen Morgen durch die Pinienwälder zu galoppieren, die sanften Hügel hinauf, die Weinberge entlang, und trug ihren Herrn willig Stunde um Stunde. Fabrizio legte der Stute Zaumzeug um und sattelte sie. Als er Nera aus dem Stall in das Licht des neuen Tages führte, entwand sie sich seinem Griff und stieg auf die Hinterläufe, als wollte sie die Sonne willkommen heißen. Dann stand sie still. Und der Sohn des Fürsten schwang sich mit einem übermütigen Laut auf das Pferd und stob davon.
»Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg eben zum Propheten.«
Hector lachte und deutete mit der Kinnspitze auf den Wagen von Habibi. Sie war eine der schönsten Frauen in der Familie der Gaukler, und die Männer eines jeden Städtchens versuchten, sich ihre Gunst zu erkaufen. Bella sah, wie ein fremder Mann aus ihrem Wagen stieg und sich scheu umblickte, bevor er sich eilig davonmachte.
»Schon wieder ein Pfaffe.«
Hector grinste breit und spuckte aus. Unkeusche Gottesmänner verfielen Habibi mit derselben Regelmäßigkeit, mit der sie ihre Zelte auf- und abbauten. In Grosseto gab es einen verliebten Prete, der
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