Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
einen weiteren Bissen von dem Braten und stopfte sich ein großes Stück Brot in den Mund. Er hatte keine Sekunde Schlaf bekommen; gleich nachdem sie Gianni versorgt hatten, war er in die Küche geeilt, um die Wegzehrung für die Jagdgäste vorzubereiten. Zufrieden sah er sich um. Alle waren in ihre Beschäftigungen vertieft, hier und da war sogar ein Lachen zu hören. Rocco griff nach einer Brotkruste, dann verließ er die Küche und machte sich auf den Weg zu Gianni.
»Verstehst du unseren Vater?«, wollte Carlo wissen.
Die Brüder hatten die Reiterschar an sich vorbeiziehen lassen und bildeten nun die Nachhut des Jagdfeldes. Ascanios Söhne waren nachts zwar nicht in der Küche gewesen, aber Mahmut hatte ihnen haarklein berichtet, was dort vorgefallen war.
»Nein«, antwortete Paolo, »aber sag mir, wer ihn versteht. Ich hätte den Koch auf der Stelle umgebracht. Stell dir vor, was als Nächstes passiert. Seine Autorität hat Schaden genommen. Da bin ich mir sicher.«
Der Jüngere schüttelte den Kopf und lenkte sein Pferd dicht neben das des Bruders, um nicht so laut sprechen zu müssen.
»Vielleicht hat er ihm leidgetan. Gianni ist wahnsinnig geworden, sagt Mahmut, und einen kranken Mann erschlägt man nicht. Ich hätte es auch nicht gekonnt.«
Paolo brachte sein Pferd zum Stehen und betrachtete Carlo nachdenklich.
»Ich habe den alten Koch genauso gern wie du, glaub mir. Aber er ist ein Koch, und der Conte ist sein Herr. Ein Koch darf sich nicht gegen seinen Herrn erheben.«
»Heda! Ihr zwei! Sua Nobiltà sucht schon nach euch!«
Eine bekannte Stimme schreckte die beiden auf. Es war neben der Wegzehrung eine weitere Angewohnheit Ascanios, den Stallmeister mit zur Jagd zu nehmen. Sollte ein Pferd Schaden nehmen, konnte er sich sofort darum kümmern. Die Brüder blickten einander wissend an. Es war nicht ratsam, sich einem Befehl des Conte zu widersetzen. Sie drückten ihren Pferden die Stiefel in die Flanken und stoben los, immer dem Stallmeister nach. Bald hatten sie die Jagdgesellschaft erreicht.
Donata war froh, dass ihr Gemahl bereits früh am Morgen mit seinen Gästen fortgeritten war, und sie genoss die Stille, die sich über dem Anwesen ausgebreitet hatte. Nun ging es bereits auf die Mittagsstunde zu, aber sie lag immer noch im Bett und grübelte darüber nach, was Ascanio dazu veranlasst haben mochte, den Koch zu verschonen. Schließlich gab sie sich mit der Erklärung zufrieden, dass der Conte vor der Jagd keine weitere Aufregung wollte und sich um Gianni kümmern werde, wenn die Gäste fort waren.
Die Contessa läutete nach ihrer Zofe und ließ sich beim Ankleiden helfen. Sie würde die Zeit bis zur Rückkehr der Gesellschaft nutzen, um einen Plan zu fassen. Sie wollte ihre Tochter wiederfinden, und sie brauchte einen loyalen Diener am Hof, der ihr diesen Dienst erweisen würde. Die Diener, mit denen Ascanio sich umgab, waren nicht vertrauenswürdig. Sie würden sie, allen voran Mahmut, bei der ersten Gelegenheit verraten, da war sich Donata sicher. Es musste jemand sein, der nicht viel mit dem Conte zu tun hatte, ihr dagegen vertraut war. Die Contessa schüttelte den Kopf. Es fiel ihr niemand ein. Zu groß war ihre selbstgewählte Einsamkeit in den letzten Jahren gewesen; sie hatte mit Ausnahme ihrer Zofe kaum ein Wort mit der Dienerschaft gewechselt. Aber das Mädchen kam für diese Aufgabe nicht infrage. Donata seufzte. Sie würde einen Spaziergang machen.
Kaum hatte sie ihren Fuß in den Garten gesetzt, sah sie Rocco, der mit hängenden Schultern aus dem Gesindehaus kam. Als er sie bemerkte, erstarrte er und blickte verlegen zu Boden. Immer wenn er diese schöne Frau ansah, musste er an Bella denken und daran, wie sehr er den Moment genossen hatte, als sie der Contessa das Nachtmahl gebracht hatten. Viele Monate lag das nun schon zurück. Er nahm seine Mütze ab und drehte sie nervös hin und her.
»Warum bist du nicht in der Küche?«
Donata versuchte, ihrer Stimme einen strengen Klang zu geben, aber ihre Augen lächelten und machten Rocco Mut, die Wahrheit zu sagen. Er versuchte, seine Hände still zu halten, und räusperte sich. Dann sagte er mit klarer Stimme:
»Ich war bei Gianni, meine Contessa. Es geht ihm schlecht. Jedes Leben ist aus ihm gewichen, und er erkennt niemanden. Er wird nie wieder kochen können. Seine Tochter Josepha ist bei ihm.«
Bei seinen letzten Worten schluchzte er leise. Donata spürte, wie sehr dieser junge Bursche seinen Ziehvater liebte.
»Du solltest
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