Das Geheimnis der Diva
zwar beruhigend, hielt Bob und Peter aber nicht davon ab, in jede Ecke zu spähen, an der sie vorbeikamen. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung fanden sie jedoch nichts Schlimmeres als Müll und ein paar streunende Katzen. Aber die Erleichterung verflog wieder, als sie um die Ecke bogen und das Stadttheater am Ende seiner langen Zufahrt vor sich sahen. Während alle anderen Gebäude noch von der Abendsonne angestrahlt wurden, lag es bereits in tiefem Schatten wie die düstere Kulisse eines Horrorfilms. Jetzt schien es nicht mehr aus der Umklammerung der nackten Betonfassaden fliehen zu wollen, sondern sich wie ein sprungbereites Raubtier zu ducken – bereit, nicht nur Sandy, sondern sie alle zu verschlingen.
»Heute Abend ist wohl keine Probe, oder?«, fragte Peter unbehaglich.
Bob schüttelte den Kopf. »Erst morgen wieder.«
»Und wenn Sandy da drin wirklich etwas passiert ist? Wenn sie nun dem Phantom begegnet ist?«
»Dann wird es erst recht Zeit, dass wir hineingehen«, antwortete Justus und marschierte forsch voraus. »Und fang bitte nicht mit dem ›Phantom‹-Unsinn an, Peter, nur weil irgendjemand mit Umhang und Maske durch die Gegend schleicht. Und selbst das ist nicht bewiesen, da ihn außer Miss Caroline niemand gesehen zu haben scheint.«
»Das ist doch eher ein Argument für das Phantom.«
»Nein, ist es nicht.« Justus erreichte den Theatereingang und rüttelte versuchsweise an der Tür. Sie war abgeschlossen. »Das war ja zu erwarten. Bob, wo wohnt der Hausmeister?«
»Da drüben.« Bob zeigte die Einfahrt entlang zurück zu einem der Nachbargebäude.
Sie liefen los und standen gleich darauf vor dem Haus. Es war ein Bürogebäude voller Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen, aber dazwischen fanden sich auch einige Privatwohnungen. John Dellcourt wohnte im zweiten Stock. Sie klingelten. Nach einiger Zeit drang die mürrische Stimme des Hausmeisters aus der Sprechanlage. »Wer ist da?«
»Mr Dellcourt?«, sagte Justus. »Bitte kommen Sie herunter. Wir vermuten, dass Sandy Wherton im Theater eingeschlossen wurde.«
»Was ist das für ein Quatsch? Wer ist da?«
»Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews. Bitte kommen Sie herunter und bringen Sie Ihren Schlüssel mit. Möglicherweise ist ihr etwas zugestoßen.«
»Was? Wem ist etwas zugestoßen? Wer ist im Theater?«
»Sandy Wherton. Die Souffleuse der Theatergruppe, die das Gebäude gemietet hat.«
»Kenne ich nicht. Haut ab!«
Justus verlor die Geduld. »Mr Dellcourt, kommen Sie jetzt herunter oder nicht? Wenn wir die Tür erst aufbrechen müssen, kostet das Geld, und falls Sandy Wherton wirklich etwas zugestoßen ist, können Sie sicher sein, dass ich Sie wegen unterlassener Hilfeleistung anzeige!«
Es klickte, und die Verbindung war unterbrochen.
»Du weißt wirklich, wie man sich Freunde macht«, murmelte Peter.
Zwei Minuten später riss John Dellcourt die Haustür auf und starrte die drei ??? bitterböse an. »Ihr verdammte Bande! Was soll das? Wer soll diese Sandy Wherton sein? Wenn das die kleine Dicke ist – die hat einen Schlüssel! Letzten Donnerstag ausgeliehen und nicht zurückgebracht! Hätte mir ja denken können, wie das ausgeht! Also, was soll der Quatsch? Kann sein, dass sie heimlich reingegangen ist, aber wenn, dann ist sie längst wieder draußen! Nichts mit eingeschlossen! Aber das war das letzte Mal, dass ich irgendwem den Schlüssel gebe!«
»Mr Dellcourt«, sagte Justus, »wir stören Sie wirklich nur ungern. Aber Tatsache ist, dass Sandy seit gestern Abend nicht mehr gesehen wurde. Können wir also jetzt bitte losgehen und überprüfen, ob sie im Theater ist?«
»Zum Klabautermann mit euch«, knurrte Dellcourt, knallte die Tür hinter sich zu und marschierte zum Theater. Die drei ??? folgten ihm.
»Komisch«, murmelte Bob. »Warum hat Sandy uns gestern nicht gesagt, dass sie einen Schlüssel hat?«
»Warum sollte sie?«, fragte Peter leise zurück. »Aber wenn sie wirklich einen Schlüssel hat, reingegangen ist und nicht wieder rauskam, dann …« Er schluckte.
»Das heißt nicht automatisch, dass ihr etwas zugestoßen ist«, sagte Justus. Aber selbst in seinen eigenen Ohren klang es ziemlich unüberzeugt.
Mr Dellcourt stieg die Treppenstufen zum Theater hoch, schloss die Tür auf, stapfte durch die Dunkelheit zu seinem Büro hinüber und schaltete sämtliche Lichter an. Mit einem Schlag wurde aus der düsteren Halle ein rotgoldener Saal, dessen unzählige elektrische Kerzen sich in den Wandspiegeln
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