Das Geheimnis der Götter
und die Augen des Propheten hatten wieder diesen eigenartig roten Glanz.
»Isis hat das Nest des Falken-Manns zerstört«, klagte er. Die hübsche dunkelhaarige Frau brach in Tränen aus und umarmte den Verkünder des wahren Glaubens.
»Ihr seid gerettet!«, rief sie erleichtert. »Und Ihr werdet diese Ungläubige zu Staub zertreten. Es gibt keine Frau, die Eurer Macht die Stirn bieten könnte.«
Langsam richtete er sich wieder auf und strich ihr zärtlich übers Haar.
»Du wirst deinen Mitschwestern beibringen, dass ihr euch den Männern zu unterwerfen habt. Als niedere Geschöpfe müsst ihr gehorchen, um eure Seele zu retten. Ihr könnt gar nicht erwachsen werden und Verantwortung übernehmen. Indem Ägypten Frauen in den höchsten Ämtern zulässt, verstößt es gegen die Befehle Gottes. Der kommende Glaube duldet keine Priesterinnen.«
»Was ist mit dieser Nephthys…«
»Ich werde mein Vergnügen an ihr haben, ehe sie gesteinigt wird. Und das wird das Schicksal aller schamlosen Frauen.«
»Erlaubt, dass ich Euch trockne und mit duftendem Öl einreibe.«
Während der Prophet Binas Zärtlichkeit genoss, erlebte er noch einmal sehr schmerzhaft den Tod des Falken-Manns und die Vernichtung des Nestes voller Geister, die aus der Unterwelt zurückgekehrt waren, um die Menschen zu quälen. Indem Isis dieses Hindernis zerstörte, das er für unüberwindlich gehalten hatte, konnte sie einen wichtigen Sieg für sich verbuchen.
Doch wozu all diese Anstrengungen? Iker tot, die versiegelte Schale verschwunden und der Pharao entmachtet – die Oberpriesterin von Abydos sollte sich ihrer Verzweiflung hingeben.
Seine Schüler waren so gut ausgebildet und unterrichtet, dass sie diese irre und vor Trauer kranke Frau irgendwann beseitigen würden. Ihr sinnloser Kampf konnte zu nichts führen.
Eine wichtige Aufgabe musste nun erledigt werden.
»Zieh dich aus und leg dich hin«, befahl er Bina. Die schöne Frau kam diesem Befehl eilends nach. Gab es denn eine bessere Belohnung, als sich ihrem Herrn zu schenken?
Doch statt sich an ihrem Körper zu erfreuen, stellte der Prophet ein Licht auf ihren Nabel und malte Zeichen auf ihre Stirn.
»Schließ die Augen, sammle dich und denke nur an unseren Feind Sesostris, dessen Namen ich gerade geschrieben habe. Dein Fleisch trägt jetzt das Zeichen des Feindes, möge es ihn verfluchen und in die Flucht jagen!«
Wieder und wieder sagte der Prophet nun die Sprüche, die er seinen Schülern beibrachte. In Zukunft sollten sie das einzige Wissen sein, das erforderlich und erlaubt war, und jeder Getreue sollte sie täglich aufsagen.
Bina hing an seinen Lippen und verfiel in einen Wahnzustand.
Die Hieroglyphen, mit denen man den Namen des Pharaos schrieb, wurden immer größer, bis sie unleserlich waren, dann verflüssigten sie sich. Das Gesicht des Mediums war auf einmal voll von schwarzem Blut.
Dem Propheten ging es wieder gut.
Sesostris würde nicht wieder aufwachen. Auf dem Bett der Auferstehung lag nichts anderes als ein Leichnam, und der Vater sollte seinem Sohn erst in den Abgründen des Nichts wiederbegegnen.
Als sie in die Nähe der Höhle der Pachet, der Geparden-Göttin der sechzehnten Provinz Oberägyptens, kamen, begann Fang zu knurren, und Nordwind scharrte unruhig mit den Hufen.
»Seid unbesorgt, ich kenne mich hier aus«, beruhigte sie Isis. Bei einer Ritualfeier zur Beschwörung der Nilschwemme, die hier stattgefunden hatte, hatte sie den Südwind dargestellt. Unter den wenigen Ehrengästen, die zu dieser Zeremonie zugelassen waren, befand sich damals Iker. Obwohl sie die Begegnung mit ihm zutiefst verwirrt hatte, spielte sie ihre Rolle weiter, als gäbe es ihn gar nicht. Dabei wusste sie von diesem Augenblick an, dass sie ihn nie wieder vergessen würde und dass er der einzige Mann in ihrem Leben sein sollte.
»Sei trotzdem vorsichtig«, bat Sekari sie, »das Verhalten von Nordwind und Fang deutet auf eine Gefahr hin.«
Diese Warnung nahm Isis sehr ernst, obwohl die GepardenGöttin eigentlich eine treue Verbündete war. Die »Große Zauberin« schenkte den Eingeweihten von Abydos die Fähigkeit, ihr Schicksal anzunehmen und es in Einklang mit Maat zu bringen. Und was noch viel wichtiger war, sie sorgte für den Zusammenhalt des osirischen Körpers, den sie gegen alle möglichen Angreifer verteidigte.
Jetzt hätte das Raubtier seine Höhle verlassen müssen. Beunruhigt ging Isis weiter.
Aus der Dunkelheit tauchte eine riesengroße Kobra auf. Die
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