Das Geheimnis der Götter
dass uns Gefahr droht.«
Über ihnen kreiste ein merkwürdiger Falke. Die erhabene Würde des Horus-Tieres fehlte ihm, er schien über und über mit Blut beschmiert und vollführte sonderbare Bewegungen. Anstelle von Klauen hatte er riesengroße Krallen. Isis wurde bleich.
»Der Falken-Mann ist aus dem Unterweltfeuer gekommen!
Ein böser Geist, der seine Feinde in Stücke reißt und ihren Besitz und ihre Nachkommenschaft vernichtet.«
»Also ein Geschöpf des Propheten«, fügte Sekari hinzu und schleuderte ein Wurfholz nach ihm.
Doch der Raubvogel konnte ausweichen und stieß wütende Schreie aus, die kein menschliches Ohr je gehört hatte. Nur der Tatsache, dass die Ohren des Osiris an Bord waren, blieb es zu verdanken, dass die Mannschaft nicht vor Angst verrückt wurde.
»Achtung, wir steuern auf eine brennende Insel zu!«, schrie der Kapitän.
Sie versperrte den Nil wie eine unüberwindliche Grenze.
»Das ist das Nest des Falken-Manns«, sagte Isis. »Wir müssen uns an die Worte erinnern, die der König beim Erntefest spricht: ›Osiris ist von der Flammeninsel gekommen, um die Gestalt des Getreides anzunehmen.‹ Indem er das Feuer verkehrt und das Wesen des Falken verfälscht, versucht der Prophet, Ägypten unfruchtbar zu machen und ihm den Stempel des Todes aufzudrücken. Auf in die Schlacht!«
Obwohl Sarenputs Bogenschützen kampfbereit waren, konnten sie nicht aufhören zu zittern.
»Nehmt die Ruder«, befahl ihnen Isis.
»Der Fluss kocht«, sagte der Kapitän, »da kommen wir auf keinen Fall vorbei.«
»Das Zepter ›Magie‹ wird dafür sorgen, dass das Feuer unsere Ruder nicht verbrennt und das Wasser sie nicht benetzt.«
Sekari ging mit gutem Beispiel voran, die anderen machten es ihm nach.
Auf der Insel bewegten sich gequälte Gestalten, die Glut aßen, um Fleisch zu werden, zerbarsten, in Stücke fielen und neue, wirre Formen annahmen, während sie hasserfüllte Schreie ausstießen.
Isis, Nordwind und Fang waren die Einzigen, die sich die Zuckungen der isefet anzusehen wagten. Weil der Hund und der Esel in vollkommenem Einklang mit sich lebten, hatten sie keine Angst vor Maats Feind.
Die Seeleute brachten all ihre Kräfte auf in der Hoffnung, diesem Albtraum vielleicht doch irgendwie entkommen zu können. Und ihre Ruder blieben tatsächlich unversehrt.
»Wir legen an«, befahl Isis.
Der Kapitän glaubte sich verhört zu haben.
»Ihr wollt doch nicht etwa… Sollen wir versuchen, ans andere Ufer zu gelangen, und das Schiff verlassen?«
»Nein, wir legen an dieser Insel an.«
»Das ist unser Untergang!«
Isis nahm sich einen Bogen und schoss einen Pfeil in die Spitze der höchsten Flamme, in der sich der Falken-Mann verbarg.
Er durchbohrte das Ungeheuer, das in einem üble Gerüche verbreitenden Funkenregen zerplatzte.
»Anlegen«, wiederholte Isis.
Die Hitze der Glut ließ nach, die Flammen fraßen sich gegenseitig auf, die Feinde des Lichts zerfetzten einander. Als Isis ihren Fuß auf die Glut setzte, ohne sich zu verbrennen, löschte eine Sturmböe den Brand und vertrieb den Rauch.
Fang fuhr plötzlich hoch und verschlang einen verspäteten Geist. Der Esel stellte die Ohren auf, streckte die Nase in den Wind und verließ ganz ohne Hast das Schiff.
Die Männer der Besatzung schwangen ihre Ruder und spendeten Isis Beifall. Dann folgten sie Sekari auf die Insel. Sekari beglückwünschte die Priesterin: »Da hast du eine Heldentat vollbracht, zu der kein einziger Mann fähig gewesen wäre.«
»Das Feuer dieser Insel stammte nicht vom Propheten. Ich gebe die Flamme Re und das Wasser Osiris zurück. Erfüllen wir unser Dasein mit Magie und verwandeln wir dies Reich der isefet in ein Reich der Lebenden.«
Zum ersten Mal, seit er von Ikers Tod erfahren hatte, glaubte Sekari an die unwahrscheinliche Möglichkeit, dass Isis Erfolg haben könnte.
31
Der Prophet brüllte so schrecklich, dass Bina davon aufwachte. Entsetzt küsste sie ihrem Herrn die schweißnasse Stirn. Mit irrem Blick schien er in einer unzugänglichen Welt gefangen.
»Kommt zurück, ich flehe Euch an! Ohne Euch sind wir verloren.«
Die Krämpfe, die ihn schüttelten, versetzten sie in Angst und Schrecken. Sein Mund stand offen, und er hatte Schaum vor den Lippen. Anscheinend Opfer eines Anfalls von Fallsucht, stammelte er unverständliche Worte.
Bina massierte ihn von Kopf bis Fuß, legte sich auf ihn und flehte das Böse an, ihren Herrn zu verlassen und auf sie überzugehen.
Da rührte er sich plötzlich,
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