Das Geheimnis der Götter
flog über die kleine Insel. Aus seinem Schnabel schoss ein Sonnenstrahl, der den Nebel lichtete und die Schlachthalle samt seinen Folterknechten verbrannte. Die Priester hatten unversehrt überlebt und begrüßten ihre Retterin dankbar.
»Möge sich der Schnabel des Pelikans noch einmal für dich öffnen und den Auferstandenen zur Welt kommen lassen«, sagte der Älteste der Priesterschaft zu Isis. »Weil er seine Jungen mit seinem eigenen Blut füttert, verkörpert er den Großmut von Osiris. Also werden alle Reliquien Oberägyptens wiederhergestellt. Da du bis hierher gelangt bist, gibst du ihnen ihre ganze Wirkungskraft zurück.«
33
Der große Genießer Senânkh stocherte lustlos in seinem Essen und trank mehr als sonst.
»Die Einwohner von Memphis haben Angst, Medes, und die können wir ihnen nicht nehmen!«
»Müsste Seine Majestät nicht endlich eingreifen?«
»Wir wissen nicht einmal, wo sich der Pharao aufhält«, gab Senânkh zu. »Und der Königliche Rat hat schon länger keine Anweisungen mehr erhalten.«
»Und die Königin…«
»Sie zieht sich zurück und schweigt, der Wesir ist todkrank, und Sehotep wartete auf sein Urteil. Ich habe die Aufgabe, mich um die laufenden Angelegenheiten zu kümmern, aber in Sachen Sicherheit sind mir die Hände gebunden. Weder Sicherheitskräfte noch Soldaten hören auf mich.«
Medes setzte eine erschrockene Miene auf.
»Aber Sesostris… Sesostris ist doch nicht etwa…?«
»Niemand wagt es, das verhängnisvolle Wort auszusprechen. Vielleicht hat er sich nur eine Zeit lang in einen Tempel zurückgezogen. Wie auch immer, Ikers Tod hat ihn schwer getroffen, und der Staat ist führerlos.«
»Man sollte einen Nachfolger für Nesmontu ernennen und die Truppen einsetzen«, schlug Medes vor.
»Jeder hohe ägyptische Offizier steht einem unbeugsamen Haufen vor, die sich alle am liebsten gegenseitig zerfleischen würden! Wir stehen kurz vor einem Krieg Ägypter gegen Ägypter, und ich sehe keine Möglichkeit, ihn zu verhindern. Wenigstens haben die Widerständischen bisher nur einzelne kleinere Übergriffe begangen. Wären sie besser über die derzeitige Lage unterrichtet, könnten sie einen Großangriff beginnen und Memphis ohne Schwierigkeiten einnehmen.«
»Unvorstellbar!«, rief Medes entsetzt. »Ihr und ich, wir müssen mit vereinten Kräften etwas dagegen unternehmen!«
»Die Sicherheitskräfte haben auf Sobek gehört, die Soldaten gehorchten Nesmontu. In ihren Augen gelten wir nichts, bestenfalls noch als Hindernisse.«
»Ich will einfach nicht verstehen, dass…«
»Noch länger in Memphis zu bleiben, wäre der reine Irrsinn, wir würden weder den Aufständischen noch der wütenden Meute entkommen. Die Regierung geht zugrunde, wir müssen fliehen.«
»Ich weigere mich. Sesostris kommt wieder, es kehrt bestimmt wieder Ordnung ein!«
»Ich bin ein großer Bewunderer von Mut. Unter gewissen Umständen wird Mut allerdings zu Dummheit. Es hat keinen Sinn, die Tatsachen zu leugnen.«
Medes hörte auf zu essen und trank zwei Becher Wein in einem Zug aus.
»Es gibt ganz bestimmt eine Lösung«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wir können doch nicht einfach alles aufgeben.«
»Es liegt an Maat, sie hat uns aufgegeben«, klagte Senânkh.
»Vielleicht sind die Widerständischen gar nicht so stark, wie wir glauben, vielleicht sind ihre Untaten nur das Ergebnis einer kleinen Bande, die in unserer Stadt ihr Unwesen treibt?«
»Ihr Führer ist der Prophet, und der will den Tod des Osiris, die Entmachtung des Pharaos und die Zerstörung unserer Gesellschaft. Und diese drei Forderungen werden sich bald erfüllen.«
»Nein, auf keinen Fall!«, brüllte Medes jetzt. »Was für eine Schande, wenn wir fliehen würden. Wo sollten wir im Übrigen auch hin? Schlagen wir uns hier, sammeln wir alle treuen Anhänger von Sesostris, wir müssen unsere Entschlossenheit lautstark bekannt geben!«
Senânkh war sehr erstaunt über das Verhalten, das der Sekretär des Königlichen Rates an den Tag legte. Er hatte ihn immer für einen gewissenhaften Beamten und geschickten Höfling gehalten, aber gemeint, er wäre vor allem auf sein eigenes Wohlergehen bedacht und wollte sich bestimmt für nichts aufopfern.
»Auch wenn einiges fehlt, gibt es unsere oberste Behörde doch immer noch«, fuhr Medes fort. »Wir können zwar keine Erlasse beschließen, aber was sollte uns daran hindern, den Fortbestand der Macht zu bekräftigen? Der Pharao hat Memphis schon oft verlassen, und dann
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