Das Geheimnis der Götter
zu dieser Kapelle?«
»Nur meine beiden Helfer, ein Neunzigjähriger aus Letopolis und ein junger Zeitweiliger, denen ich blind vertraue!«
»Dann verschließt Ihr aber die Augen vor den Tatsachen!«
»Ihr glaubt doch nicht wirklich…«
»Einer von beiden hat das echte Zepter gestohlen und gegen eine wirkungslose Fälschung ausgetauscht.«
»Unvorstellbar, ein solches Verbrechen hier in meinem Tempel!«
Der Ritualist drohte ohnmächtig zu werden, und Isis musste ihn stützen.
»Diese Schande…«
»Wo wohnen denn Eure beiden Helfer?«
»In der Nähe des heiligen Sees.«
»Dann gehen wir jetzt dorthin und befragen sie.«
Der Hohepriester schwankte zwar noch ein wenig, zeigte sich aber bereitwillig. Auf seine große Enttäuschung folgte nun heftiger Zorn darüber, dass man seine Würde derart beleidigt hatte. Er wollte den Schuldigen finden und ihn seiner gerechten Strafe zuführen.
Obwohl sie den alten Mann aus seinem wohlverdienten Mittagsschlaf rissen, war er doch gleich bei der Sache. Er erklärte ihnen, wann er Dienst hatte, und dankte den Göttern für das Glück, das sie ihm damit schenkten. Seiner Ansicht nach hatte es keine Zwischenfälle gegeben. Letopolis führte ein friedliches Dasein, er verbrachte einen glücklichen Lebensabend.
Nun klopfte der Würdenträger an die Tür des zweiten Gehilfen.
Keine Antwort.
»Seltsam – eigentlich müsste er da sein.«
»Wir gehen rein.«
»Das können wir doch nicht einfach so machen…«
»Doch, in diesem Fall schon.«
Die kleine Wohnung war leer, genau wie die Kleidertruhen.
»Er hat sich davongemacht«, musste der Priester enttäuscht zugeben. »Nie hätte ich gedacht, dass er ein Dieb ist!«
»Wir müssen irgendetwas finden, was ihm gehört hat.«
Da gab es nur eine benutzte Matte.
»Die wird mir genügen«, meinte Isis.
Sie rollte die Schlafmatte zusammen und hielt sie sich in Augenhöhe. So nahm sie ganz langsam Verbindung zu ihrem Besitzer auf, konnte ihn deutlich sehen und seine Umgebung ausmachen.
Unverwandt starrte der Dieb das Zepter an, das er aus dem Reliquienschrein genommen und gegen eine Nachbildung ausgetauscht hatte.
Seit kurzem Schüler des Propheten, hoffte er auf eine hohe Belohnung für die Zerstörung dieses Machtsymbols von Osiris. Bisher war diese Aufgabe ein Kinderspiel für ihn gewesen. Sein Vorgesetzter hatte nichts geahnt, die Kapelle wurde nicht überwacht, und er hatte eine neue Bleibe außerhalb der Stadt…
Aber schon bald würde man ihn abholen und weit weg von Letopolis bringen, damit er den Ruhm der zukünftigen Herren Ägyptens mehren konnte.
Trotz des großartigen Schicksals, das ihm unmittelbar bevorstand, zögerte er noch, diesen Schatz zu zerstören. Als Zeitweiliger hatte er bereits so viel über den Osiris-Kult erfahren, dass es ihm allergrößte Schwierigkeiten bereitete, diesen heiligen Gegenstand zu schänden, auch wenn ihn der neue Glaube anzog, vor allem wegen seiner großen Vorteile für die Männer und der vollkommenen Unterwerfung der Frauen, dieser verdorbenen Geschöpfe, die so bereitwillig ihre Reize zur Schau stellten. Da er zu diesem Glauben übergetreten war, musste er doch nun auch in der Lage sein, sein früheres Leben mit den damaligen Pflichten zu vergessen, um diesen einfachen Griff aus Akazienholz mit den drei Lederriemen daran zu zerstören.
Wohl zum zehnten Mal hatte er sie schon mit seiner Messerklinge berührt.
Und zum zehnten Mal gelang es ihm nicht.
Vor lauter Wut peitschte er sich selbst Brust und Arme aus. Der Geruch seines Blutes beruhigte ihn. Schon morgen sollte das Blut der Ungläubigen in Strömen fließen!
Und diese Gewissheit gab ihm neuen Mut.
Er würde den Zauber von Osiris besiegen! Und wieder griff er nach seiner Waffe, um dieses lästige Diebesgut endlich loszuwerden.
Da öffnete sich plötzlich die Tür zu seinem Versteck. Erschrocken hielt der Priester inne und sah untätig zu, wie sich ein stämmiger Mann auf ihn stürzte und ihn zu Boden warf. Benommen ließ er sein Messer fallen, und Sekari legte ihm einen Strick um den Hals.
Isis nahm das Zepter an sich.
Der Dieb kam wieder zu sich, flehte den Propheten lautstark um Hilfe an und verfluchte seine Gegner. Sekari wollte sich diese Beschimpfungen nicht länger anhören und tötete ihn. Als Isis dann den ersten Lederriemen berührte – den der lichten Geburt –, wurde das Blau des Himmels unter einer strahlend leuchtenden Sonne kräftiger. Ihre goldenen Strahlen umhüllten den Tempel, der Blick der
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