Das Geheimnis der Götter
es nichts Neues?«
»Nein, und ich wäre schließlich der Erste, der davon erführe, weil ich einen Erlass über den wahrscheinlichen Zeitpunkt seiner Rückkehr verfassen müsste! Tot oder
bewegungsunfähig, jedenfalls regiert der Pharao nicht, und der Riss, den seine Abwesenheit verursacht, wird von Tag zu Tag größer.«
»Was ist mit dem Wesir?«
»Er liegt im Sterben. Senânkh besucht ihn nicht einmal mehr.«
»Und die Königin?«
»Auf meinen Rat hin wird Senânkh sie zu überreden versuchen, sich ihrer Stellung gemäß zu verhalten, damit der Fortbestand der Macht bekräftigt wird. Das kann aber nicht gut gehen! Die Große Königliche Gemahlin ist so zu Tode betrübt, sie kann doch nur die Entmachtung des Sesostris bestätigen, der das Reich nicht mehr zu lenken vermag – wenn nicht sogar seinen Tod?«
»Und die Armee?«
»In miteinander wetteifernde Gruppen gespalten, die sich am liebsten gegenseitig umbringen würden. Ohne ihren General löst sie sich auf. Und mit den Sicherheitskräften sieht es auch nicht besser aus. Ägypten ist krank, schwer krank! Bringen wir es zu Ende, ehe es zu einer möglichen, wenn auch unwahrscheinlichen Hoffnung auf Heilung kommt.«
Der Libanese verspeiste mehrere Sorten Sahnekäse und trank dazu schweren Wein aus dem Delta.
»Warum schweigt der Prophet noch immer?«, fragte er beunruhigt.
»Weil die Sicherheitskräfte Abydos lückenlos abgeriegelt haben«, antwortete Medes. »Sie lassen keinen raus. Uns eine Botschaft zu schicken, wäre reiner Selbstmord.«
»Um zum entscheidenden Angriff aufzurufen, brauche ich einen eindeutigen Befehl des Propheten«, erklärte der Libanese knapp.
»Zweifelst du etwa an der Schwäche unseres Gegners?«
»Vielleicht spielt uns Senânkh ja nur etwas vor?«
»Daran habe ich auch schon gedacht! Der Gute ist gerissen und misstrauisch. Aber er hat soeben seine gesamte Unterstützung verloren. Ich bin ein guter Menschenkenner: Und dieser Mann ist ein Opfer dieses großen Durcheinanders.«
»Zu schön, um wahr zu sein«, meinte der Libanese nur. Jetzt hatte Medes endgültig genug. »Du wolltest ihre Antwort auf unsere Anschläge sehen, auf die Brandstiftungen, die Diebstähle und die verschiedenen Übergriffe – jetzt hast du sie gesehen! Unfähige Streifen und Untersuchungen, die nichts erbringen. Was mich betrifft, versorge ich dich mit wertvollen Hinweisen aus erster Hand und begebe mich mitten in den vermeintlichen Widerstandskampf eines Landes, das sich im Zusammenbruch befindet! Übernimm endlich Verantwortung, der Prophet wird es dir danken.«
»Mein Spürsinn sagt mir aber, dass ich vorsichtig sein muss.«
Verzweifelt hob Medes die Arme zum Himmel. »Und deshalb sollen wir auf die Einnahme von Memphis verzichten!«
»Bis jetzt hat er mich noch nie im Stich gelassen und mir viel Ärger erspart.«
»Kriegst du jetzt etwa Angst, wo es um die Machtübernahme geht?«
Der Libanese sah Medes mit seinen kleinen schwarzen Augen wütend an.
»Ich arbeite schon sehr viel länger als du für den Propheten und erlaube es keinem, mich einen Feigling zu nennen. Denk daran und fang nie wieder damit an.«
»Wie lautet deine Entscheidung?«
»Wir machen einen allerletzten Versuch – mit einem Aufsehen erregenden Anschlag und dem Verrat einer unserer geheimen Gruppen. Meinst du wirklich, die Behörden werden sich entsprechend deinen zuversichtlichen Vorhersagen verhalten?«
Als Medes gegangen war, aß der Libanese den Rest der Nachspeisen auf. Sobald er zum Führer der neuen weltlichen und geistlichen Sicherheitskräfte ernannt war, würde er diesen eingebildeten Sekretär des Königs beseitigen lassen.
»Wohin geht’s jetzt?«, fragte der Kapitän Isis.
»In den Westgau, die dritte Provinz Unterägyptens.«
Die Landschaft, durch die sie nun kamen, war ganz verändert und hatte nichts mit der Fahrt durch das Niltal von Elephantine nach Memphis gemein. Isis wollte die Reliquien des Osiris so einsammeln, dass sie erst nach Westen und von dort aus Richtung Osten fuhr, um sich schließlich nach Süden aufzumachen, in die Provinz von Heliopolis, das »Unversehrte Zepter«. Sollten ihr die Götter gewogen sein, müsste sie sich dann im Besitz aller Teile finden, die zur Wiederherstellung des Körpers von Osiris erforderlich waren – und ohne die Ikers Auferstehung unmöglich war.
Der Kapitän war höchst zufrieden: gutes Wetter, hervorragender Wind, eine Fahrt durch eine liebliche Landschaft und eine unermüdliche Mannschaft… Sollte
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