Das Geheimnis der Götter
er seine Einstellung zu Frauen an Bord von Schiffen vielleicht ändern? Nein, wohl kaum, denn diese Frau war einzigartig. Als sie sich dem größten Tempel der Provinz näherten, dachte Isis an die »Schöne Westliche«, die wunderschöne Göttin, die die Gerechten anmutig lächelnd im Jenseits empfängt. Dort ruhten sie dann in Frieden, ausgestattet mit einem verwandelten Leben und von Maat versorgt. Dieses Schicksal käme für Iker viel zu früh! Ihr Mann hatte noch längst nicht all seine Fähigkeiten ausgeschöpft, er musste seinen irdischen Weg fortsetzen und das Werk des Sesostris am Leben erhalten.
Beim Anlegen begann Nordwind so entsetzlich zu schreien, dass Hafenarbeiter und Neugierige wie angewurzelt stehen blieben.
»Es scheint Ärger zu geben«, meinte Sekari.
Auch der Hund bellte warnend.
Eine Abordnung von Priestern und Soldaten wollte an Bord gelassen werden, aber Isis ging ihnen lieber entgegen. Ein etwa vierzigjähriger Mann mit eingefallenen Wangen sprach sie an.
»Fahrt sofort wieder ab, dieser Ort ist verflucht!«
»Ich muss aber unbedingt in das Heiligtum.«
»Das ist vollkommen unmöglich. Kein Mensch kann das Feld der Skorpione durchqueren. Diese Ungeheuer sind aufgewacht und haben bereits die meisten meiner Mitbrüder getötet. Und der heilige See wird jetzt von einem riesengroßen Krokodil bewohnt, das jede Reinigung unmöglich macht.«
»Ich will versuchen, das Schicksal zu beschwören.«
Der Mann verlor die Nerven.
»Fahrt sofort wieder ab, ich befehle es Euch!«
Isis ging weiter auf ihn zu.
Als ein Soldat sie fesseln wollte, stürzte sich Fang auf ihn und warf ihn zu Boden. Dann befahl Sekari den
Bogenschützen, auf die Abordnung anzulegen.
»So geht man nicht mit der Oberpriesterin von Abydos um!«
»Das wusste ich ja nicht, ich…«
»Verschwindet, ihr Angsthasen. Jetzt nehmen wir die Sache in die Hand.«
Sekari glaubte zwar nicht recht daran, wollte sich aber auch keine Blöße geben.
Und als er dann die vielen schwarzen und gelbe Skorpione sah, von denen es in dem Garten und auf dem Tempelvorplatz nur so wimmelte, glaubte er es noch viel weniger. Aber Isis wich nicht zurück.
»Thot hat das große Wort gesprochen, das den Göttern ihre Vollkommenheit gibt«, erinnerte sie. »Es vereint Osiris, damit er lebt. Ihr Kinder von Serket, der Göttin über den schmalen Durchgang ins Licht der Auferstehung, der Herrscherin über den hohen Himmel und die Erhebung der Erde, stellt euch mir nicht in den Weg! Lasst euer Gift ins Herz der Unreinheit fließen, zerfresst das Vergängliche, durchbohrt den Feind!
Möge eure tödliche Flamme meine Gegner lähmen und mir den Weg frei machen.«
Da hielten die gefährlichen Geschöpfe inne und
verschwanden einer nach dem anderen unter Steinen. Sekari war schon so gut wie überzeugt von der magischen Wirkung ihrer Worte, als er sah, dass ein schwarzer Skorpion an Isis’
Umhang hochlief.
Sie streckte die Hand aus.
Sein giftiger Stachel schien jeden Augenblick zuzuschlagen.
»Zeig mir, wo die Reliquie des Osiris ist.«
Da beruhigte sich das Tier. Isis setzte es auf den Boden und folgte ihm.
Der Skorpion führte sie zum heiligen See.
Als die Priesterin die ersten Stufen der Treppe zum See hinunterging, tauchte ein unvorstellbar großes Krokodil aus den Tiefen des Wassers auf. Auf seinem Rücken trug es die Lenden des Osiris.
Sekari hatte ebenfalls das Feld der Skorpione durchquert und wollte Isis zurückhalten.
»Bitte, sei vorsichtig! Dieses Ungeheuer sieht nicht besonders umgänglich aus.«
»Erinnerst du dich an die Mysterien des Monats Khoiak?
Nimmt Osiris dort nicht die Gestalt von Sobeks Tier an, um das Urmeer zu überqueren?«
Sekari dachte auch an jenes Ereignis, bei dem Iker zum Tod durch Ertrinken verurteilt worden, aber vom Herrn über die Wasser, einem riesengroßen Krokodil, gerettet worden war. Der Geist des Sees kam auf Isis zu, die bis zur Brust im Wasser stand. Er öffnete das Maul und zeigte seine gefährlichen Zähne.
»Du Verführer mit dem schönen Gesicht, du Liebling der Frauen, setze deine Arbeit des Sammelns fort.«
Fast schien es, als würde das winzige Auge des Krokodils zärtlich blicken. Isis streckte ihre Hände aus und nahm ihm die Reliquien vom Rücken.
Dem Kapitän machte es große Freude, seine Segelkünste zu beweisen, indem er den besten Weg in die siebzehnte Provinz Unterägyptens fand. Jeder noch so erfahrene andere Seemann hätte sich in diesem Wasserlabyrinth nahe der
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