Das Geheimnis der Götter
Gelegenheit wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen. Mit Hilfe von Hathors Magie würde die Reise wohl nicht lange dauern, bald erreichten sie Byblos. Er hatte also nicht mehr viel Zeit, etwas zu unternehmen, und konnte sich seinem Opfer noch immer nicht nähern, das nach wie vor von seinen beiden Beschützern umgeben war.
Es gab nur eine einzige Möglichkeit: Er musste auf den Mast klettern und die Zauberin töten, indem er ihr von hinten eine Harpune in den Rücken jagte. Darin war der Kapitän sehr geschickt und traute sich auch trotz der Verletzungen zu, dass er sein Ziel nicht verfehlen würde.
Isis sah aufs Meer hinaus und dachte an Iker und an die schreckliche Angst, die er beim Schiffbruch mit Gefährte des Windes gehabt haben musste.
Ihr Mann lebte noch. Sie spürte ihn und verstand ihn. Fang knurrte und hörte auch nicht auf, als sie ihn streichelte. Unruhig sah er sich nach der Gefahr um, die er gewittert hatte. Als er gerade nach oben schaute, stürzte der Kapitän von der Mastspitze, prallte ungebremst auf das Schiffsgeländer und fiel ins Meer.
»Wir müssen ihn retten!«, rief ein Seemann.
»Das hat keinen Zweck«, widersprach ihm ein anderer, dem sich die Mehrheit anschloss. »Wir kriegen ihn doch nicht da raus. Nachdem wir unter dem Schutz der Göttin Hathor stehen, sollten wir diesen Dreckskerl besser vergessen. Er hat uns viel zu viel schuften lassen und uns dafür nur einen Hungerlohn gezahlt.«
»Byblos voraus!«, rief der Mann am Bug. »Wir sind gleich da!«
Der Sturz des Kapitäns war weder Ungeschicklichkeit noch ein Unfall gewesen. Isis hatte sehr wohl den Dolch gesehen, der in seiner Brust steckte – Beweis für die Geschicklichkeit Sekaris. Er reiste unbemerkt mit, wusste sich unsichtbar zu machen und wachte über die Sicherheit seiner Schwester aus dem Goldenen Kreis.
Die Ankunft eines derart stattlichen Schiffs löste in Byblos Feierlaune aus, die auch nur wenig durch den Bericht des Zweiten Offiziers getrübt wurde. Er erklärte das bedauerliche Verschwinden des Kapitäns mit einem Steuerfehler, den er selbst zu verantworten und mit dem er die ganze Mannschaft in Gefahr gebracht hatte.
Der Hafenkommandant begrüßte Isis.
»Ich bin die Oberpriesterin von Abydos und habe eine Botschaft für Prinz Abi-Shemu.«
»Wir geleiten Euch sofort zu seinem Palast.«
Isis machte sich auf den Weg zur Altstadt, die von Bollwerken umgeben war.
Der diensthabende Beamte erwies ihr ausdrücklich die Ehre. Da der Prinz gerade im Haupttempel ein Ritual für die Göttin Hathor feierte, schlug er ihr vor, daran teilzunehmen. Der Tempel war offensichtlich beeinflusst von der ägyptischen Baukunst und ein sehr eindrucksvolles Gebäude. Über zwei Rampen, eine im Osten und eine im Westen, gelangte man zum Eingang. Unter den fünf Kolossalstatuen an der Eingangsmauer fand sich auch die Darstellung eines Pharaos.
Ein Ritualist reinigte Isis mit Wasser aus einem großen Brunnenbecken. Dann verneigte sie sich vor den mit Opfergaben beladenen Altären, durchquerte einen Hof, der von Kapellen gesäumt wurde, und gelangte zum Heiligtum, in dem eine prachtvolle Statue der Hathor mit der Sonnenscheibe auf dem Kopf thronte.
Ein kleiner, rundlicher Mann in einem übertrieben geschmückten Umhang begrüßte sie herzlich.
»Eben erst hat man mich von Eurer Ankunft unterrichtet, hohe Priesterin! Hattet Ihr eine gute Reise?«
»Ja, danke, eine sehr gute.«
»Jeden Morgen danke ich Hathor für den Wohlstand, den sie meinem kleinen Land schenkt. Die unvergängliche Freundschaft mit Ägypten sichert uns eine unbeschwerte Zukunft, und wir freuen uns, wenn wir diese Beziehung noch vertiefen können. Wie gefällt Euch das Heiligtum?«
»Es ist sehr schön.«
»Ja ja, ich weiß, mit Euren Tempeln können wir nicht mithalten! Aber mit der Unterstützung ägyptischer Meister haben unsere Handwerker Hathor wirklich ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Zu diesem Anlass hat mir der Pharao eine goldene Krone geschenkt, die mit magischen Zeichen verziert ist – den Zeichen für Leben, Wohlstand und Beständigkeit. Ich trage sie, sooft sich dazu Gelegenheit bietet. Meine Untertanen schwärmen für alles Ägyptische!«
Der Prinz und die Priesterin kamen auf den großen Tempelvorplatz.
»Was für ein herrlicher Blick! Die Festungsmauern, die Altstadt, das Meer… Man kann sich nicht satt sehen. Aber verzeiht mir meine Neugier: Beherbergt Abydos wirklich die größten Geheimnisse von Ägypten?«
»Ja, aber eines
Weitere Kostenlose Bücher