Das Geheimnis der Götter
Bronze, Perlenarmbänder aus Karneol, rohe Lehmziegel, grüne und schwarze Schminke, Kopf und Nacken eines Stiers aus Diorit. Der mit Silber beschlagene Boden des Tempels reinigte die Schritte der Ritualisten wie von selbst.
Der König beleuchtete den Naos zum ersten Mal und beweihräucherte ihn.
»Dir verleihe ich die ganze Kraft und die ganze Freude der Sonne«, sagte er zu Month, dem Herrn des Heiligtums. Dessen irdischer Stellvertreter, der wilde Stier, sollte dem ka dieses Gebäudes, in dem das Erneuerungsfest des Pharaos stattfand, seine Lebenskraft erhalten. An der Schwelle eines gewaltigen Portals zeigten ihm Horus und Seth den Pfeiler der Millionen Jahre, das Zeichen sich ewig erneuernden Lebens und ewiger Macht.
Statuen stellten den alten König dar, wie er sich auf den jungen König stützt. In seinem sinnbildlichen Wesen vereinten sich Anfang und Ende, Tatkraft und Muße. Ein Hof war mit Osiris-Pfeilern geschmückt, die den Sieg der Auferstehung offenbarten.
Eine kleine Straße trennte den Tempelbereich von dem Viertel, in dem die ständigen Priester wohnten, die sich mit dem Wasser des heiligen Sees reinigten. Unter ihnen gab es Fachleute, die im Laboratorium arbeiteten. Dort wurden Salben, Duftstoffe und Gold aus Punt gelagert.
Indem Sesostris in Medamud wieder den alten Brauch des Osiris-Kults einführte, schuf er sich ein Heer allererster Größe gegen den Propheten.
Jetzt musste er es nur noch schlagkräftig machen. Der König begab sich zum Gehege des Stiers. Als er sich ihm näherte, wurde der Vierbeiner wütend.
»Beruhige dich doch«, befahl ihm der Pharao. »Du leidest an Blindheit, weil dir die weibliche Sonne fehlt. Der Bau des neuen Tempels wird sie zurückholen.«
Die ganze Nacht hindurch erfreuten Gesänge und Tänze das Herz der goldenen Göttin. Mit Musik beglückt erklärte sie sich bereit, zu erscheinen und die Finsternis zu vertreiben. Nun war der Stier wieder friedlich und ließ den Pharao in sein Gehege. In dessen Mitte stand im Schatten einer alten Akazie eine kleine Kapelle.
Und in der Kapelle befand sich die versiegelte Schale mit den Lymphen des Osiris – der Quelle des Lebens, dem Geheimnis des göttlichen Werkes.
Die Prinzessin von Byblos war empört.
»Das heißt also, mein Mann wollte Euch töten und hat Euch deshalb in diese schreckliche Falle gelockt!«, sagte sie, als Isis ihre Erklärung beendet hatte. »Seid Ihr Euch darüber im Klaren, was für eine ungeheuerliche Anschuldigung das ist?«
»Hättet Ihr nicht eingegriffen, hätten mich Eure Hofdamen ermordet. Ist das nicht Beweis genug?«
Die Prinzessin schien ratlos.
»Kann es sein, dass Euer Land Ägypten verrät?«, fragte Isis.
»Die Handelsbeziehungen stehen an erster Stelle, und der Prinz sucht stets nach neuen Verbindungen, gelegentlich auch ohne sich an gegebene Versprechen zu halten.«
»Habt Ihr noch mehr Sorgen, Prinzessin?«
»Ja, mein Sohn ist sehr krank. Wenn Ihr ihn heilt, verrate ich Euch, wo der Sarkophag ist.«
Das Kind hatte hohes Fieber und redete wirres Zeug. Isis stellte siebenundsiebzig brennende Fackeln um ihn herum auf, um die Schutzgeister heraufzubeschwören, die die zerstörerischen Kräfte von ihm fern halten konnten. Als sie ihm den Zeigefinger auf die Lippen legte, beruhigte sich der kleine Kranke und lächelte sie an.
»Die Krankheit verschwindet, die Schmerzen hören auf, bald bist du wieder gesund.«
Eine Fackel nach der anderen erlosch, und das Kind bekam wieder Farbe.
»Eine Tamariske beschützte den Sarkophag«, erzählte die Prinzessin. »Der Prinz erhielt einen Brief, in dem er aufgefordert wurde, den Sarkophag dort zu entfernen und in einer Säule im Besuchsraum zu verstecken. Ihr müsst jetzt gehen, Isis. Wenn Ihr bleibt, werdet Ihr sterben.«
»Ist der Prophet der neue Herr über Euer Reich?«
Die Prinzessin wurde bleich. »Woher wisst Ihr das?«
»Bringt mich in den Palast.«
»Das ist wahnsinnig, Isis!«
»Wollt Ihr Byblos denn nicht retten?«
Die Vorgehensweise des Prinzen erforderte viel Geschick und Verhandlungskunst. Ohne Ägypten Anlass zur Unzufriedenheit zu geben, heimste er große Gewinne ein, indem er sich an den Geschäften des Libanesen beteiligte. Die Lehre des Propheten war ihm reichlich gleichgültig, aber gewisse Zugeständnisse ließen sich nicht vermeiden.
Der Prinz liebte seinen Besuchsraum sehr, der mit wundervollen Bildern der verschiedenen Landschaften Phöniziens geschmückt war. Er setzte sich mit dem Rücken zu einem aufs
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