Das Geheimnis der Götter
stärkte er seine Macht. Die Wesen der Finsternis ernähren sich von ihren Opfern, und sie kriegen nie genug.«
»Dann habt ihr mich also geleitet und beschützt – der alte Schreiber, der Pharao und du?«
»Ja, du hast einiges missverstanden und bist lange durch die Finsternis geirrt, warst aber immer auf der Suche nach dem Licht. Indem du deinem Weg gefolgt bist, hast du dich selbst gestaltet.«
»Da ich dich in den Armen halte, ist mein Schicksal aber doch nicht hoffnungslos?«
Isis lächelte entwaffnend.
»Verzeihst du mir meine Selbstgefälligkeit?«
»Erst wenn wir keine Wahl mehr haben, sind wir frei – so lange müssen wir auf Maats Weg bleiben.«
»Hilf mir dabei, bitte. Der König hat mir die ewige Ruhestätte der Dichter in Sakkara gezeigt, nun träume ich davon, die Bibliothek von Abydos kennen zu lernen.«
»Sie ist einzigartig.«
»Hältst du mich für unwürdig?«
»Das hat einzig und allein die Türhüterin zu entscheiden. Glaubst du, du kannst ihr gegenübertreten?«
»Wovor soll ich mich fürchten, wenn du mich leitest?«
Iker folgte seiner Gattin; keine andere Frau bewegte sich mit dieser Leichtigkeit. Sie berührte den Boden kaum und schien über der Welt der Menschen zu schweben.
Iker war sehr beeindruckt, wie hoch die Mauern vom Haus des Lebens waren. Der Eingang aber war sehr eng und ließ nur eine Person durch.
»Hier ist die Stätte, an der die Sprache der Freude zu Hause ist, an der man Rechtschaffenheit lebt und die Worte unterscheiden lernt.«
Von dem Opfertisch, der vor dem Eingang stand, nahm Isis einen runden Brotlaib.
»Schreibe die Worte ›Verbündete Seths‹ darauf«, befahl sie dem Königlichen Sohn.
Iker nahm einen feinen Pinsel und schrieb sie mit roter Tinte.
»Nun kannst du versuchen, das Haus zu betreten, wenn du deine Angst besiegst.«
Kaum hatte er die Schwelle übertreten, als Iker wie angewurzelt stehen blieb. Bedrohliches Knurren ließ ihm das Blut in den Adern stocken.
Vorsichtig sah er sich um und entdeckte eine sprungbereite Pantherin, die Verkörperung der Göttin Mafdet.
Iker reichte ihr das Brot der Feinde von Osiris. Die Raubkatze zögerte erst, packte dann aber das Brot mit ihren Fängen und verschwand.
Nun war der Weg frei, und der Schreiber gelangte über einen schmalen Gang in einen großen Saal, der von zahlreichen Öllampen erleuchtet war, die seltsamerweise keinen Rauch verbreiteten.
Voller Begeisterung las Iker die Überschriften auf den Papyrusrollen, die ordentlich in Regalfächer geräumt waren. Wie berauscht begann er, das große Buch über die Geheimnisse von Himmel, Erde und der Welt zu lesen, dann holte er sich im Buch über die Erneuerung der heiligen Barke und dem Fachbuch der Bildhauerei Rat.
Er entdeckte fremde Welten, Wege zu unbekanntem Wissen… Als Isis hinter ihn trat und ihm die Hand auf die Schulter legte, hatte Iker gerade erst flüchtig von diesem Schatz gekostet.
»Der Tag bricht bald an, gehen wir zum Baum des Lebens. Der Kahle wünscht, dass du am Morgenritual teilnimmst.«
Andächtig reichte Iker seiner Frau und dem Priester die Schalen mit Wasser und Milch, und sie gossen den Inhalt an den Stamm der Akazie, die sich ausgezeichneter Gesundheit erfreute.
Isis gab dem Königlichen Sohn einen Spiegel, der aus einer großen Silberscheibe mit einem Griff aus Jaspis bestand, den das Gesicht der Göttin Hathor schmückte.
»Halte ihn in die Sonne und schicke ihre Strahlen zum Stamm des Lebensbaums.«
Das Ritual war kurz und eindrucksvoll.
»Heute Nacht und heute Morgen hast du einen langen Weg hinter dich gebracht«, erklärte Isis. »Der Spiegel der Göttin hat die Berührung durch deine Hand geduldet und erkennt dich so als Diener des Lichts an.«
»Das reicht aber noch nicht«, versetzte der Kahle. »Ich erwarte dich heute Abend im Tempel von Sesostris.«
Der Prophet sah zu, wie Isis, Iker und der Kahle sich entfernten. Mit Hilfe von Bega und trotz einer durch die Verwaltung verschuldeten Verzögerung war er endlich in den Tempel der Millionen Jahre von Sesostris versetzt worden. Als Verantwortlicher für die Schalen und Becher der Gottheiten und auch der Ritualisten hatte er sich dem empfindlichen Mittelpunkt von Abydos erheblich genähert.
Da er in einer Dienstunterkunft schlafen durfte, hatte der Prophet die besten Ausgangsbedingungen, um die Maßnahmen zum Schutz von Osiris nach und nach zu zerstören. Mit dem scharfen Blick eines Raubvogels entdeckte er sehr bald die vier jungen Akazien, die in
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