Das Geheimnis der Götter
stellte Sarenput fest. »Also müssen wir mit der Strömung fahren, und die Ruderer sollen ihr Bestes geben. Trotzdem werden wir nur langsam vorankommen.«
»Ich hoffe, dass ich die Windverhältnisse zu unseren Gunsten bessern kann.«
Isis stand am Bug ihres Schiffs und richtete das Zepter auf den Katarakt. Ein kräftiger Wind kam auf, und die beiden Schiffe flogen nur so Richtung Edfu, der Hauptstadt der zweiten Provinz Oberägyptens – des »Horus-Thrones«.
Ein Falke kreiste über ihrem Schiff.
»Wir folgen ihm«, befahl Isis.
Der Raubvogel leitete sie von der Hauptanlegestelle fort, wofür ihn Sarenput verfluchte.
Nachdem er mehrere weite Kreise über einem Weinberg gezogen hatte, setzte er sich in den Wipfel einer Akazie.
»Hier legen wir an«, verlangte die junge Frau.
Die schwierige Landung wurde fehlerlos gemeistert, und die Seeleute fuhren einen Landesteg aus, auf dem sofort schussbereite Bogenschützen in Stellung gingen. Aber es schien alles ruhig zu sein.
»Hier werden wir bestimmt keine Reliquie von Osiris finden«, meinte Sarenput. »Dafür gibt es hier aber ausgezeichneten Wein, zu dessen Hauptabnehmern ich gehöre. Und ich hatte noch nie Grund zur Klage.«
In dem von Mauern umgebenen Weinberg des Horus-Throns wuchsen zwölf verschiedene Rebsorten zusammen mit Dattelpalmen. Im Januar und Februar wurden die alten Weinstöcke sorgsam zurückgeschnitten und die Erde umgegraben. Zahlreiche Wasserrinnen sorgten für Bewässerung, regelmäßiges Hacken belüftete den Boden und verhinderte gleichzeitig, dass zu viel Unkraut wuchs. Taubenmist diente als Dünger, und Kupferlösungen aus dem Tempel verhinderten den Ausbruch von Krankheiten. Die Weinbauern beendeten soeben ihre Spätlese. Daraus kelterten sie einen erhebenden und köstlich duftenden Göttertrank – eine überaus geschätzte, kostbare Ware, Isis und Sarenput gingen zu einer großen Presse. Die Winzer brachten dicke reife Trauben und schütteten sie in ein großes Fass, in dem sie dann andere unter Gesang kelterten. Durch mehrere Öffnungen trat der Saft aus, der zwei bis drei Tage in offenen Tonfässern gären musste. Anschließend kam die Arbeit der Fachmänner, die den jungen Wein in unterschiedlich geformte Krüge abfüllten.
Die jungen Gehilfen schabten die Reste von Haut und Kernen zusammen und füllten sie in einen Sack, den sie so lange zusammendrehten, bis unten eine köstliche Flüssigkeit herauskam.
»Wollt Ihr kosten?«, fragte ein junger Mann, der bereits ziemlich angetrunken war.
»Ich habe nichts dagegen«, gab Sarenput zur Antwort. Da trat der Winzermeister dazwischen.
»Was hat dieses Aufgebot an Soldaten zu bedeuten? Ich führe meine Steuern ordentlich ab!«
»Nur keine Aufregung, wir haben dir nichts vorzuwerfen.«
»Kennst du den richtigen Namen der gepressten Traube?«, fragte ihn Isis.
Der Weinbauer schaute jetzt freundlicher. »Wer eine solche Frage stellt, muss…«
»Zur Priesterschaft von Abydos gehören. So ist es auch.«
»Der richtige Name lautet Osiris und ist Brot und Wein zugleich, die göttliche Macht, die in festen und flüssigen Nahrungsmitteln verkörpert ist. Wenn wir die Trauben pressen, töten wir sie – bei dieser Probe wird das Vergängliche vom Unvergänglichen getrennt. Anschließend trinken wir Osiris, und der Wein eröffnet uns einen der Wege zur Unsterblichkeit. Heute schenken wir den Verstorbenen ein
Ausnahmegewächs. Er soll die bösen Geister und schlechten Toten von uns fern halten. Die guten Toten, die Großen von Abydos, die Lichtgestalten, werden unseren Weinberg weiter beschützen.
Vergäßen wir, sie dafür zu ehren, käme es zu einem großen Unglück.«
»Welche Opfergaben gibst du ihnen außer diesem großen Wein?«
»Ich erwarte die Prozession der Horuspriester, sie werden alles Notwendige bringen.«
Sarenput hatte keine Zeit sich zu berauschen, weil die Ritualisten nicht lange auf sich warten ließen. Angeführt wurde der Zug von einem alten Mann mit Adleraugen. Sein Gefolge führte eine beeindruckende Menge von Krügen, Stoffen und Blumen mit. In der Mitte der Prozession befand sich eine Barke.
Isis teilte dem Horuspriester mit, wer sie war.
»Die Oberpriesterin von Abydos in unserer Mitte, welche Ehre! Tut uns doch bitte den Gefallen und nehmt an dem Ritual teil, das wir heute Nacht feiern. Wir werden viele Fackeln anzünden und zu Ehren der Verstorbenen ein Festmahl begehen und ihnen die besten Weine widmen.«
»Irre ich mich, oder hat Eure Barke eine
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