Das Geheimnis der Götter
besondere Form?«
»Sie ist eine Nachbildung der Barke des Osiris!
Stellvertretend für den wiedererstandenen göttlichen Körper trägt sie die Krone der Unschuld und hält den Tod von unserem Tempel fern. Seid Ihr einverstanden, sie auf einen Altar zu stellen und die beschützenden Worte zu sprechen?«
»Mein Auftrag besteht aus anderen Riten. Hier ist der Korb der Geheimnisse, in dem gesammelt wird, was zerstreut war. Seid Ihr bereit, mir die Brust des Osiris zurückzugeben – die heilige Reliquie Eurer Provinz?«
Im Laufe seines langen Lebens hatte der Oberpriester von Edfu sich bereits einiges anhören müssen und war der Überzeugung, ihn könne nichts mehr erschüttern. Doch jetzt verschlug es ihm die Sprache.
»Ägyptens Überleben steht auf dem Spiel«, erklärte Isis leise.
»Aber die Reliquie… Sie gehört doch uns!«
»Angesichts der besonderen Umstände müsst Ihr sie vorübergehend an Abydos zurückgeben.«
»Da muss ich mich erst mit meinen Mitbrüdern
beratschlagen.«
Einer der Träger war von Beruf Bote. Er reiste auf den schnellen Schiffen, die Medes einsetzte, um die königlichen Beschlüsse zu verbreiten, und besserte sein Gehalt etwas auf, indem er die Kapitäne mit den neuesten Nachrichten aus der Provinz Edfu versorgte. Die Höhe der Belohnung richtete sich danach, wie wichtig seine Neuigkeiten waren.
Als er den Aufruhr in dem Weinberg bemerkte, in dem eigentlich eine friedliche Feier stattfinden sollte, witterte der Spitzel ein gutes Geschäft.
Er machte einen großen Bogen um die feindselig
dreinschauenden Bogenschützen, mischte sich unter die Weinbauern und trank Traubensaft. Doch sogar diese Männer, die sonst immer zu Scherzen aufgelegt waren, machten diesmal finstere Gesichter.
»Was habt ihr denn da für komische Gäste?«, fragte er beiläufig.
»Das ist ein Sondertrupp«, antwortete ihm ein gewitzter Mann. »Mit denen ist nicht zu scherzen! Besser man reizt sie gar nicht erst. Mein großer Bruder hat Provinzfürst Sarenput erkannt. Der schickt sonst immer nur ein Frachtschiff, das wir mit Weinkrügen beladen müssen. Und heute steuert er ein Kriegsschiff! Das lässt nichts Gutes vermuten.«
»Und wer ist diese schöne Frau?«
»Eine Priesterin aus Abydos. Ein Kamerad, der seine Ohren überall hat, meint sogar, sie ist die Oberpriesterin! Stell dir das mal vor! Wer hätte das geahnt? Da muss es sich schon wirklich um etwas Ernstes handeln.«
Dem Spitzel lief förmlich das Wasser im Munde zusammen. Was wären solche Nachrichten wohl wert? Bestimmt ein Vermögen! Er wollte sie Stück für Stück verkaufen, um den Höchstgewinn zu erzielen. Und danach – in den Ruhestand gehen, einen Bauernhof kaufen, ein paar tüchtige Leute einstellen und sich eine schöne Zeit machen. Offenbar hatte er Glück und war zur rechten Zeit am rechten Ort!
Ein zweites Gespräch mit anderen Weinbauern bestätigte, was ihm der erste erzählt hatte. Jetzt hieß es, keine unnötige Zeit zu verlieren.
Der Spitzel zog sich unauffällig zurück, verließ den Weinberg und lief zum Fluss und dort bis zu der Anlegestelle, an der eines von Medes’ Schiffen lag. Der Handel kostete ihn vermutlich etwas Zeit, aber er würde unnachgiebig bleiben. Schon sah sich der ehemalige Bote im Schatten seiner Weinlaube ruhen und seinen Leuten beim Arbeiten zuschauen. Der Falke flog auf. Er vermochte das Unsichtbare zu sehen und machte seine Beute über deren Leuchten aus, das sie zum Teil in nur winzigen Mengen über ihren Urin oder andere Körperflüssigkeiten absonderten.
Der Spitzel hörte einen seltsamen, Angst erregenden Schrei und blieb stehen. Ganz außer Atem sah er nach oben, von wo der Schrei gekommen war. Die Sonne blendete ihn zwar, aber es kam ihm so vor, als rase ein Stein mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf ihn zu.
Mit durchbohrtem Schädel sank er tot zu Boden.
Der Horus-Falke hatte seine Arbeit getan und Isis beschützt, nun kehrte er wieder in den Wipfel der Akazie zurück.
»Diese Beratungen führen doch zu nichts«, meinte Sarenput.
»Ich werde die Schwätzer jetzt ein bisschen ablenken, und Ihr holt Euch die Reliquie.«
»Wir müssen Geduld haben«, riet Isis. »Dieser Priester wird den Ernst der Lage erkennen.«
»Ihr haltet viel zu viel von den Menschen! Dabei sind sie nur ein Haufen Schwätzer, denen man nicht erlauben sollte, über alles und jedes zu beratschlagen.«
Endlich kam der Ritualist mit den Adleraugen wieder.
»Folgt mir, bitte«, sagte er zu Isis.
Er führte
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