Das Geheimnis der Götter
diesen das Ziel ihrer Reise unbekannt war. Früher oder später käme das Geheimnis aber bestimmt ans Licht.
Ihr erstes Ziel war Elephantine.
Die Hauptstadt der ersten Provinz Oberägyptens, an der südlichen Grenze der Zwei Länder und dem Ersten Katarakt gelegen, badete in sanftem Sonnenlicht. Der Kanal, den Sesostris hatte bauen lassen, war das ganze Jahr über schiffbar, die Festung und die Ziegelmauer sorgten für die Sicherheit von Verständigung und Handel, was dem Aufschwung Nubiens zugute kam.
Isis begab sich in den Palast des Provinzfürsten Sarenput, wo sie von Guter Gefährte und Gazelle empfangen wurde, einem großen, schlanken, schwarzen Hund und seiner
unzertrennlichen Gefährtin, einer kleinen, runden Hündin mit baumelnden Zitzen. Trotz ihres Alters waren beide noch sehr gute Wachhunde. Besuchern, die sie zu sehr verbellten, traute Sarenput nicht über den Weg.
Doch Isis wurde von den Hunden mit Liebesbeweisen überhäuft. Guter Gefährte sprang hoch und legte ihr seine Pfoten auf die Schulter, Gazelle lief aufgeregt um sie herum und leckte ihr die Füße.
Dann erschien auch der Herr des Hauses, massig wie eh und je – eckiger Kopf, breite Schultern, niedrige Stirn, vorstehende Wangen und ein entschlossener Blick.
»Welche Freude, die Oberpriesterin von Abydos empfangen zu dürfen«, sagte er ernst und feierlich. »Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs?«
Schonungslos berichtete sie ihm von den schrecklichen Ereignissen.
Sarenput war entsetzt und ließ sich erst mal schweren Wein bringen.
»Das große Werk von Sesostris droht zerstört zu werden, das ganze Land steht vor dem Untergang! Wie können wir diesen besessenen Feind bekämpfen?«
»Wir müssen einen neuen Osiris erschaffen. Dazu brauche ich als Erstes die Reliquie von Elephantine. Erklärst du dich bereit, sie mir zurückzugeben?«
Isis fürchtete seine Antwort – der Würdenträger war sehr auf seine Vorrechte bedacht und nahm für gewöhnlich kein Blatt vor den Mund.
»Ich bringe Euch sofort hin.«
Die junge Frau bestieg die Lieblingsbarke des Provinzfürsten, der sich selbst ans Ruder stellte und mit Feuereifer loslegte. Als die heilige Insel des Osiris vor ihnen auftauchte, kamen Isis die Ängste in Erinnerung, die sie mit diesem Ort verband. Sie hatte einmal ihr Leben für den Beginn einer günstigen Nilflut opfern wollen. Iker war ihr damals zu Hilfe geeilt und hatte sie aus den Tiefen des Nils geholt. Heute wollte sie ihn aus dem Nichts retten.
Die Barke legte in der Nähe des Felsens mit der Höhle an, die den Namen »Die ihrem Herrn Schutz bietet« trug. Ein Falke und ein Geier, die im Wipfel einer Akazie und eines Brustbeerenbaums saßen, beobachteten die Ankömmlinge.
»Es gibt keine besseren Wächter«, erklärte Sarenput. »Ein einziger Dummkopf hat einmal versucht, das Geheimnis der Grotte zu erkunden. Die beiden Raubvögel haben ihn schrecklich zugerichtet. Beim Anblick seines Leichnams hat die anderen Neugierigen dann der Mut verlassen. Seitdem gab es keine Zwischenfälle mehr. Jetzt seid Ihr an der Reihe, Prinzessin, ich warte hier draußen.«
Isis wählte einen engen steinernen Gang, der vom plätschernden Gesang einer Quelle erfüllt war. Obwohl sie die Örtlichkeiten nicht kannte, ging sie unbeirrt vorwärts und kümmerte sich nicht um Feuchtigkeit und stickige Luft. Der Gang öffnete sich, und aus der Tiefe drang ein Leuchten nach oben.
Das war das Reich von Hapi, dem Flussgott, dem Schöpfer der fruchtbaren Schwemme! Beruhigt glitt Isis an der Felswand entlang und gelangte mitten in eine große bläulich schimmernde Grotte.
Vor ihr stand ein Fetisch wie der von Abydos!
Sie entfernte den Schleier, der die Spitze des Pfeilers bedeckte, und fand die Füße des Osiris – aus Gold, Silber und Edelsteinen.
»Es tut mir sehr Leid, Euch darauf vorbereiten zu müssen, dass sich verschiedene Provinzherren und einige Oberpriester nicht zur Zusammenarbeit mit Euch bereit erklären werden wollen«, sagte Sarenput verstimmt. »Eigentlich möchte ich das Können Eures Begleitschutzes nicht in Frage stellen, ich glaube aber nicht, dass sie diesen Dickschädeln die Stirn bieten können.«
»Was schlägst du vor?«
»Ich werde Euch begleiten. Ein Kriegsschiff und ein Teil meiner erfahrenen Truppen könnten aufsässige Herrschaften besänftigen und zum Einlenken bewegen.«
Auf diese wertvolle Hilfe wollte Isis auf keinen Fall verzichten.
»Wir haben mit dem Nachteil zu kämpfen, dass kein Südwind weht«,
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