Das Geheimnis der Götter
lernen und die Reliquie holen«, widersprach Isis. Ein Boot der Flusswache versperrte ihnen den Weg, an Bord ein Soldat, den Sarenput ausgebildet hatte.
Die beiden Schiffe berührten sich mit dem Bug.
»Meister Sarenput, es freut mich sehr, Euch zu sehen!«
»Ich sehe, du hast es weit gebracht, mein Junge.«
»Für die Sicherheit dieser Provinz zu sorgen, ist eine große Herausforderung.«
»Und keine kleine Aufgabe, scheint’s, wenn ich mir diesen Aufruhr ansehe.«
»Den Priestern ist ein schwerer Fehler unterlaufen, nun befürchtet die Bevölkerung den Zorn der Götter.«
»Die Oberpriesterin von Abydos wird für Ruhe sorgen. Teile den Menschen mit, dass sie gekommen ist.«
Dieses Ereignis zerstreute alle Ängste. Die Gesandte des Osiris würde doch wohl mit ihrer Magie das Unglück besiegen?
Sarenputs Schiff legte an.
Die Ritualisten waren nun zwar nicht mehr dem Druck der Menge ausgesetzt, hörten aber nicht auf zu jammern. Isis bat sie um eine Erklärung.
»Unser Oberpriester hat eine Prozession angeführt und dabei die Reliquie unserer Provinz, das Geschlecht des Osiris, getragen«, sagte einer der Ritualisten. »Er hatte einen Schwächeanfall und ließ es in den Nil fallen, und wir konnten es nicht wieder herausholen. Ein Fisch hat es verschluckt, wir werden unsere Reliquie nie wiederbekommen.«
»Warum habt ihr so wenig Zuversicht?«
»Unsere besten Fischer sind gescheitert! Dieser Fisch muss ein Wesen aus der anderen Welt sein, er entkommt ihren Netzen immer wieder.«
»Führe mich zu deinem Tempel.«
Der Prophet konnte also nicht nur Menschen benutzen; jetzt hatte er sogar einen Wasserbewohner gesteuert, um die Suche der Isis aufzuhalten und Iker zum Nichts zu verurteilen. Doch da war noch ein winziger Hoffnungsschimmer, der Isis’
Willenskraft stärkte. Sie wollte einfach nicht dem Augenschein trauen und klammerte sich an diesen winzigen Funken: Sie wollte das Wahrzeichen dieser Provinz spielen, das Sistrum mit dem Hathor-Kopf. Vielleicht brachten dessen Schwingungen doch noch einen Ausweg zu Tage.
Die Priester waren sich ihrer schweren Schuld bewusst und blieben zutiefst niedergeschlagen.
Isis lief durch einen Garten mit mehreren Teichen voller Lotuspflanzen. Die weißen Blüten mit ihren vielen länglichen Blättern öffneten sich abends und schlossen sich bei Tagesanbruch. Die blauen Blüten hatten runde Blätter, öffneten sich morgens und verströmten einen süßen Duft. Ihre Blüten-und Kelchblätter waren schmal und spitz. In den alten Schriften hieß es, sie erinnerten an das schöpferische Geschlecht des verehrungswürdigen Lotus. Die Priesterin nahm eine wunderschöne blaue Lotusblüte und befragte sie. Nein, die Reliquie der Provinz wäre nicht verloren, eine finstere Macht versteckte sie, das mit dem Fisch sei nur ein Köder.
Als ihr endlich eine andere Priesterin das Sistrum »Macht«
brachte, lösten dessen Klänge feuerrote Schwingungen aus – es schien, als liefen Flammen über die Wasseroberfläche der Teiche.
Isis rief die Ritualisten zusammen.
»Erwacht doch endlich aus eurer Erstarrung«, rief sie. »Hört ihr denn nicht dieses Lied?«
Eine kreischende Stimme schmerzte in ihren Ohren.
»Wenn ihr mir nicht die Wahrheit sagt, gehen euch eure Sinne verloren. Was verbergt ihr vor mir?«
»Es geht um den Baum des Seth«, gestand ein alter Mann.
»Wir hätten ihn am liebsten vergessen, aus Angst, er könne unseren Frieden stören und uns die Reliquie des Osiris rauben. Als wir etwas gegen diese Gefahr unternehmen wollten, haben wir einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen.«
»Zeigt mir, wo der Baum steht.«
»Ich rate Euch dringend ab, in seine Nähe zu kommen, er…«
»Beeilt euch, führt mich hin.«
Im Norden des Tempels gab es eine öde Gegend, keine einzige Blume, kein Grashalm. Der Boden war verdorrt und glühend heiß.
»Die Hitze kommt aus Seths Nasenlöchern«, erklärte ihr der Achtzigjährige.
In einer Bodenspalte stand ein schwarzer verdorrter Baum mit zerbrochenen Ästen. Neben dem Baum lag ein merkwürdiger Vierbeiner mit langen Ohren und einer Okapischnauze.
»Darf ich gehen?«, fragte der Alte.
Isis nickte, und er verschwand.
»Ich kenne dich, Seth«, begann die Oberpriesterin von Abydos mit fester Stimme, »und ich schenke dir den blauen Lotus. Du herrschst über das Gold der Wüsten und gibst ihm deine Kraft. Du bist von schöpferischem Feuer durchdrungen und fähig, den Tod zu besiegen. Erlaube mir, die Reliquie deines Bruders
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