Das Geheimnis der Götter
zu nehmen.«
Das Tier schüttelte sich, stand auf und sah den Eindringling mit seinen roten Augen an.
Isis machte einen Schritt vorwärts, der Vierbeiner ebenfalls. Ganz langsam gingen sie aufeinander zu.
Jetzt konnte die Priesterin schon den heißen Atem des Baumwächters spüren. Sie fasste sich ein Herz und streichelte das Tier. Dabei stellte sie fest, dass sein Fell mit einer Salbe bestrichen war. Sie riss ein Stück vom Ärmel ihres Umhangs ab, nahm damit von der Salbe und brachte den letzten Meter hinter sich, der sie von der Erdspalte trennte. Dabei musste sie dem Tier den Rücken zukehren und war eine leichte Beute. Die Zweige knackten, der schwarze Baum zersetzte sich und zerfiel zu Staub. Aus der Erdspalte stieg rötlicher Rauch auf und hüllte Isis ein.
Ein Wind brachte den Duft des blauen Lotus mit sich und vertrieb den Rauch.
Am Rand des Abgrunds tauchte der Phallus des Osiris aus Elektrum auf, einer Mischung aus Gold und Silber. Isis wickelte ihn in das Stoffstück. Die Salbe von Seths Tier würde dem göttlichen Glied Kraft und Stärke zurückgeben. Um sie herum wuchs zartes Grün im Überfluss, und der seltsame Vierbeiner war verschwunden.
Das Große Land von Abydos kam in Sicht, der Hauptstadt der achten Provinz Oberägyptens – der Stätte größten Glücks und Unglücks. Nur zu gern hätte Isis dort ein langes, glückliches Leben mit Iker verbracht, fern von allen Wechselfällen des Lebens!
An der Anlegestelle erwartete sie ein beeindruckendes Aufgebot von Soldaten. Und mitten drin Sekari, Nordwind und Fang.
29
Es dauerte lange, bis sie etwas sagen konnten. Sekari nahm Isis freundschaftlich in den Arm, Hund und Esel gaben leise Klagelaute von sich. Mit Tränen in den Augen versuchte sie, die drei zu trösten. Wenigstens linderte dieses unverhoffte Wiedersehen ein wenig ihren Schmerz.
»Noch ist nicht alles verloren«, sagte Isis. »Ich muss die wichtigsten Osiris-Reliquien finden und zusammenfügen, was verstreut ist. Wenn mir das gelingt und wir die Rituale feiern und das Geheimnis weitergeben, können wir Iker vielleicht vor dem endgültigen Tod bewahren.«
Sekari glaubte zwar nicht daran, hütete sich aber, auch nur den geringsten Zweifel zu äußern. Hatte Ägypten, das geliebte Land der Götter, nicht bereits viele Wunder erlebt?
»Wir setzen die Reise gemeinsam fort, und ich werde dich beschützen«, erklärte er.
»Das ist gut, die Helfershelfer des Propheten lauern überall«, sagte die Priesterin.
Jetzt wollten der Esel und der Hund gestreichelt werden, Sekari und Sarenput umarmten sich zur Begrüßung.
»Diese Frau ist wirklich erstaunlich«, sagte der Provinzfürst leise. »Obwohl sie keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, geht sie ihren Weg wie ein mutiger Krieger und schreckt vor keiner Gefahr zurück. Kein Hindernis kann sie aufhalten, eher würde sie sterben als aufgeben. Wir haben bereits einige Schwierigkeiten überstanden, aber der Feind lässt bestimmt nicht nach.«
»Dein Kriegsschiff ist zu auffällig«, meinte Sekari. »Wir brauchen ein kleineres schnelles Schiff, und ich übernehme jetzt den Schutz von Isis. Du kannst nach Elephantine zurück.«
»Brauchst du meine Bogenschützen?«
»Ja, aber sie sollen ihr kriegerisches Verhalten aufgeben und sich wie einfache Seeleute auf einem Handelsschiff benehmen. Ich möchte, dass sie ihre Waffen verstecken und nur im Ernstfall danach greifen. Du musst sehr wachsam bleiben, Sarenput. Wir haben mit bösen Überraschungen zu rechnen.«
»Befürchtest du einen Überfall der Nubier?«
»Nein, dort scheint alles ruhig. Aber Memphis ist nach wie vor in Gefahr. Der Prophet versucht ganz offensichtlich, den Thron der Lebenden zu zertrümmern. Jeder Provinzfürst muss jetzt dafür sorgen, dass der Zusammenhalt nicht verloren geht.«
»Elephantine bleibt unbeugsam«, versprach ihm Sarenput.
»Und pass gut auf Isis auf!«
Gerührt verabschiedete sich der sonst so ruppige Sarenput von der Priesterin. Vergeblich suchte er nach den passenden Worten, um ihr seine Zuneigung und Bewunderung
auszusprechen, und murmelte dann doch nur die üblichen Höflichkeitsfloskeln.
An ihrem Blick konnte er aber erkennen, dass sie ihn verstanden hatte.
»Es hat wohl wenig Sinn, wenn ich Euch bitte, vorsichtig zu sein. Der Feind…«
»Wir werden ihn besiegen, Sarenput.«
Dann machten sich Isis, Sekari, Nordwind und Fang auf den Weg ins Reich von Osiris. In Gesellschaft der jungen Frau wirkten die beiden Tiere wieder fast so zuversichtlich
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