Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
… anderen … in seiner Nähe, mit ihrem gedämpften Murmeln, gerade so leise, dass man es nicht mehr verstehen konnte, gespenstische Wesen, die neben ihm herzulaufen schienen und seine Blindheit verspotteten, indem sie davonhuschten, bevor er sie berühren konnte. Ungezählte Tage war er blind durch diese Unterwelt voll klagenden Geflüsters und zerfließender Formen gestolpert, bis sein Leben eine einzige Qual war. Er wandelte auf einem schmalen Grat, straff gespannt zwischen Grauen und Hunger. Er war verflucht, es gab keine andere Erklärung.
Guthwulf rollte sich zur Seite und richtete sich langsam auf. Wenn ihn der Himmel für alle Bosheit seines Lebens strafen wollte, wie lange sollte diese Strafe dauern? Er hatte sich stets über die Priester und ihr Gerede von Ewigkeit lustig gemacht, aber er hatte inzwischen gelernt, dass eine einzige Stunde sich zu entsetzlicher, unendlicher Länge ausdehnen konnte. Was konnte er tun, um diese furchtbare Strafe zu einem Ende zu bringen?
»Ich habe gesündigt!«, schrie er, und seine Stimme war ein heiseres Krächzen. »Ich habe gelogen und getötet, obwohl ich wusste, dass es Unrecht war! Gesündigt!« Das Echo hallte nach und verging. »Gesündigt«, flüsterte er.
Er kroch wieder eine Elle weiter und betete, der Abgrund, den er gespürt hatte, möge wirklich vor ihm liegen, eine Grube, in die er stürzen könnte, um dort vielleicht die Befreiung des Todes zu finden – falls er nicht längst tot war. Alles war besser als diese endlose Leere. Wäre es nicht eine ebenso große Sünde wie die Tötung anderer, hätte er sich längst an dem Stein, der ihn umgab, den Schädel eingerannt, aber er fürchtete sich davor, nach diesem zusätzlichen Verbrechen des Selbstmordes nur wieder aufzuwachen und zu einer noch schrecklicheren Strafe verurteilt zu werden. Verzweifelt tastete er sich vorwärts, aber seine kriechenden Finger stießen auf nichts weiter als Stein, den endlosen Boden des Gangs mit allen seinen Windungen.
Sicher war diese wechselnde Wirklichkeit seines Gefängnisses nur ein weiterer Bestandteil seiner Strafe. So wie er eben noch ganz genau gewusst hatte, dass ein tiefer Abgrund vor ihm lag – ein Abgrund, der, wie ihm seine Finger jetzt bewiesen, nicht existierte –, war er bei anderer Gelegenheit auf riesige Säulen gestoßen, die bis hoch zur Decke wuchsen, hatte mit der Hand ihre verschlungenen Steinschnitzereien berührt und versucht, in der kunstvollen Oberfläche etwas wie einen Hauch von Hoffnung zu finden – nur, um sich gleich darauf inmitten einer riesigen, leeren Höhle wiederzufinden, in der es weder Säulen noch die Gesellschaft anderer Menschen gab.
Was war aus den anderen geworden, fragte er sich plötzlich. Was war mit Elias und dem Teufel Pryrates? Wenn Gottes Gerechtigkeit über die Welt gekommen war, konnten sie ihr nicht entgangen sein – nicht mit den Verbrechen, die auf ihrer Seele lasteten und die Guthwulfs armseliges Sündenregister bei weitem übertrafen. Was war mit ihnen geschehen, mit ihnen und all den anderen, unzähligen Sündern, die auf der sich drehenden Erde gelebt hatten und gestorben waren? War jeder zu seiner eigenen, einsamen Verdammnis verurteilt? Irrten andere, gepeinigt wie Guthwulf, vielleicht auf der anderen Seite dieser Steinmauern umher und fragten sich wie er, ob sie die letzten Geschöpfe im Weltall waren?
Er rappelte sich auf und taumelte zur Wand. Mit der flachen Hand schlug er auf sie ein. »Hier bin ich!«, rief er. »Ich bin!« Er ließ dieFinger an der kühlen, leicht feuchten Oberfläche heruntergleiten und sank zusammen.
In all den Jahren, die er gelebt hatte – denn er konnte sich nicht von der Vorstellung befreien, dass dieses Leben vorbei war, auch wenn er noch immer in einem Körper wohnte, der Schmerzen und Hunger empfand –, hatte Guthwulf niemals das schlichte Wunder der Gemeinschaft begriffen. Er war gern mit anderen zusammen gewesen – hatte die rauhe Gesellschaft von Männern, die befriedigende Fügsamkeit von Frauen genossen –, aber er war auch immer gut allein zurechtgekommen. Freunde waren gestorben oder fortgegangen. Von einigen hatte er sich trennen müssen, als sie sich gegen ihn stellten, ein paar andere hatte er trotz früherer Kameradschaft beseitigt. Am Ende hatte sich sogar der König von ihm abgewendet, aber Guthwulf war stark gewesen. Jemanden zu brauchen bedeutete, schwach zu sein. Schwach sein hieß, kein Mann zu sein.
Jetzt dachte Guthwulf an seinen kostbarsten Besitz.
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