Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
Streifen von dem Nachthemd, das sie unter ihrer Männerkleidung immer noch anhatte, rieb auf einige davon Salbe und wickelte sie fest um Cadrachs blasenbedeckte Hände. Darüber band sie ein paar trockene Lappen, um den Verband sauber zu halten.
»So. Das hilft wenigstens ein bisschen.«
»Ihr seid sehr freundlich, Herrin.« Obwohl der Ton leicht war, bemerkte Miriamel einen unerwarteten Glanz in seinem Auge, als fließe eine Träne. Verlegen und ein wenig unsicher vermied sie es, genauer hinzusehen.
Der Himmel, der seine helleren Töne längst verloren hatte, färbte sich jetzt rasch purpurblau. Der Wind frischte auf, und Miriamel und Cadrach zogen ihre Mäntel am Hals enger. Lange Minuten lehnte Miriamel sich schweigend gegen die Bordwand und fühlte, wie das große Boot in seiner Wasserwiege auf und ab schaukelte.
»Und was tun wir jetzt? Wo sind wir? Wohin wollen wir?«
Cadrach tastete immer noch an seinen Verbänden herum. »Nun, wo wir sind, Herrin – ich würde sagen, wir treiben irgendwo zwischen den Inseln Spenit und Risa, mitten in der Bucht von Firannos und schätzungsweise zehn Meilen von der Küste entfernt. Ein paar Tage Rudern, selbst wenn wir den ganzen Tag keine Pause machen.«
»Eine gute Idee.« Miriamel kletterte nach vorn zu der Bank, aufder Cadrach gesessen hatte, und tauchte die Ruder ein. »Beim Reden können wir genauso gut weiterrudern. Stimmt denn die Richtung?« Sie lachte missmutig. »Aber wie könnt Ihr das sagen, wenn wir wahrscheinlich gar nicht wissen, wohin die Reise gehen soll!«
»Eigentlich ist unsere jetzige Richtung ganz in Ordnung, Herrin. Wenn die Sterne herauskommen, werde ich es noch einmal prüfen, aber anhand der Sonne habe ich schon feststellen können, dass wir uns nach Nordosten bewegen, und das ist fürs Erste ausgezeichnet. Aber seid Ihr sicher, dass Ihr Euch schon wieder anstrengen solltet? Vielleicht schaffe ich noch ein kleines Stück.«
»Cadrach, Ihr mit Euren blutenden Händen? Unsinn.« Sie senkte die Ruderblätter ins Wasser und pullte. Plötzlich tauchte das eine klatschend wieder auf. Miriamel rutschte auf ihrem Sitz nach hinten. »Nein, zeigt es mir nicht«, sagte sie schnell. »Ich habe es als kleines Kind gelernt – es liegt nur daran, dass ich lange keine Gelegenheit mehr dazu hatte.« Sie runzelte die Brauen, um sich an den fast vergessenen Ruderschlag zu erinnern. »Wir haben immer auf den kleinen Nebenarmen des Gleniwent geübt, mein Vater und ich.«
Jäh durchzuckte sie die Erinnerung an Elias, vor ihr auf einer Ruderbank, lachend, als eines der Ruder im grün überwachsenen Wasser davontrieb. Ihr Vater kam ihr kaum älter vor, als sie selbst jetzt war – vielleicht, begriff sie auf einmal verwundert, war er in mancher Hinsicht noch in späteren Jahren ein Junge gewesen. Unzweifelhaft hatte sein mächtiger, legendärer und geliebter Vater sein Leben stets überschattet und ihn zu immer tollkühneren Taten angestachelt. Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter Tränen der Angst unterdrückt hatte, wenn sie von Elias’ Raserei auf dem Schlachtfeld hörte, Tränen, die für den Boten schwer nachvollziehbar waren. Seltsam, so an ihren Vater zu denken. Vielleicht war er trotz aller Tapferkeit auch unsicher und furchtsam gewesen – besessen von der Angst, immer ein Kind zu bleiben, der Sohn eines unsterblichen Vaters.
Bestürzt bemühte sie sich, diese erstaunlich hartnäckige Vorstellung zu verscheuchen und ihre Gedanken auf den uralten Rhythmus der Ruder im Wasser zu richten.
»Gut, Herrin, ausgezeichnet.« Cadrach lehnte sich zurück. Dieverbundenen Hände und das runde, blasse Gesicht schimmerten fahl im rasch hereinbrechenden Abend. »Wir wissen nun also, wo wir sind – ein paar Millionen Eimer Seewasser hin oder her. Und was unser Ziel betrifft – was denkt Ihr, Prinzessin? Schließlich seid Ihr es, die mich gerettet hat.«
Die Ruder in Miriamels Hand wurden plötzlich schwer wie Stein. Ein Anflug von Hoffnungslosigkeit drohte sie zu ersticken. »Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Es gibt keinen Ort, an den ich gehen könnte.«
Cadrach nickte, als hätte er diese Antwort erwartet. »Dann erlaubt, dass ich Euch ein Stück Brot und für einen Cintis Käse abschneide, Herrin, und ich werde Euch sagen, was ich denke.«
Weil Miriamel mit dem Rudern nicht aufhören wollte, steckte ihr der Mönch zwischen den Schlägen kleine Bissen in den Mund. Sein komischer Gesichtsausdruck, wenn er dem Rückschwung der Ruder auswich, reizte Miriamel
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