Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
die Wasserlilien huschte –, kam sein Griff viel zu spät. Angewidert betrachtete er die triefenden Wasserpflanzen in seiner Hand und ließ den Klumpen Unkraut wieder in die schlammige Flut fallen. Jeder Fisch in der Nähe war inzwischen weit weggeschwommen.
Ihr-die-wacht-und-gestaltet , dachte er kummervoll, warum habt ihr mir das angetan?
Er watete zum Rand des Wasserlaufs und planschte, so unauffällig er konnte, einen Altarm weiter, wo er sich von neuem hinstellte und wartete.
Schon als kleiner Junge, so schien es ihm, war er immer zu kurz gekommen. Als jüngstes von sechs Kindern hatte er stets das Gefühl gehabt, seine Geschwister würden reichlicher ernährt. Kam die Schüssel endlich bei ihm an, war kaum noch etwas darin. Er war nicht so groß geworden wie seine drei Brüder oder sein Vater Tugumak, hatte nie so geschickt Fische fangen können wie seine schnelle Schwester Twiyah und nie so viele nützliche Wurzeln und Beeren entdeckt wie seine kluge Schwester Rimihe. Und als er endlich etwas gefunden hatte, in dem er alle anderen übertraf, nämlich die Trockenländer-Künste des Lesens und Schreibens, da machte diese Begabung wenig Eindruck. Seine Familie und die anderen Bewohner von Haindorf sahen das Streben nach solchem Trockenländer-Wissen eher als unvernünftig an. Und waren sie etwa stolz, als er nach Perdruin ging, um an einer Trockenländer-Schule zu studieren? Keine Spur. Trotz der Tatsache, dass kein anderer Wranna seit MenschengedenkenÄhnliches geschafft hatte, brachte seine Familie für diesen Ehrgeiz nicht das geringste Verständnis auf. Und auch die Trockenländer selbst straften ihn, bis auf sehr wenige Ausnahmen, mit offener Verachtung. Die gleichgültigen Lehrer und die Studenten, die sich über ihn lustig machten, hatten dem jungen Tiamak unmissverständlich klargemacht, dass er, so viele Schriftrollen, Bücher und gelehrte Gespräche er auch in sich hineinstopfte, nie etwas Besseres sein würde als ein Wilder, ein dressiertes Tier, das ein paar schlaue Kunststücke gelernt hat.
So war es sein ganzes Leben lang weitergegangen, bis zu diesem verhängnisvollen Jahr. Seinen einzigen, schwachen Trost hatte Tiamak in seinen Studien und dem gelegentlichen Briefwechsel mit den Trägern der Schriftrolle gefunden. Jetzt, als wollten Sie-die-wachen-und-gestalten in einer einzigen Jahreszeit alles wiedergutmachen, bekam er von allem zu viel, viel, viel zu viel.
So verhöhnen uns die Götter, dachte er bitter. Sie nehmen unseren größten Herzenswunsch und erfüllen ihn so, dass wir nur noch darum beten, davon erlöst zu werden. Und ich hatte aufgehört, an sie zu glauben!
Sie-die-wachen-und-gestalten hatten die Falle sehr geschickt gestellt, daran bestand kein Zweifel. Zuerst hatten sie ihn gezwungen, sich zwischen seinem Stamm und seinen Freunden zu entscheiden. Dann hatten sie ihm das Krokodil geschickt, das ihn seinerseits zwang, seine Brüder im Stich zu lassen. Jetzt musste er seine Freunde durch die Weite der Marschen führen, ja, ihr Leben hing von ihm ab, aber der einzig sichere Weg ging über Haindorf und würde ihn zurückbringen zu denen, die er so schnöde enttäuscht hatte. Tiamak wünschte nur, er hätte gelernt, auch eine so tadellose Falle zu bauen – dann hätte es jeden Abend Krebse gegeben!
Hüfttief stand er im grünlichen Wasser und grübelte. Was sollte er tun? Wenn er in sein Dorf zurückkehrte, würden alle von seiner Schande erfahren. Es war sogar möglich, dass sie ihn gar nicht wieder fortließen, sondern als Verräter bestraften. Versuchte er aber, dem Zorn der Dorfbewohner zu entgehen, so bedeutete das einen Umweg von vielen Meilen auf ihrer Suche nach einem geeigneten Boot. Die einzigen anderen Dörfer in dieser Gegend des Wran,Hohenasthäuser, Gelbbäume oder Blume-im-Felsen, lagen weiter südlich. Sie aufzusuchen hieß, dass man die Hauptwasserwege verlassen und einige der gefährlichsten Abschnitte des ganzen Wran überwinden musste. Aber sie hatten keine Wahl – entweder mussten sie nach Haindorf oder zu einer der entfernteren Siedlungen, denn ohne Flachboot konnten Tiamak und seine Gefährten das Seen-Thrithing niemals erreichen. Schon jetzt leckte ihr Boot sehr stark, und sie hatten mehrere lebensgefährliche Wanderungen durch den unberechenbaren Morast unternehmen müssen, um das Boot über die seichten Stellen des Flusslaufs zu tragen.
Tiamak seufzte. Was hatte doch Isgrimnur gesagt? Heutzutage schien das Leben nur noch aus schwierigen Entscheidungen
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