Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
Burg gab es keine Menschenseele mehr, der sie vertrauen konnte, und so musste sie sich wohl oder übel alleine durchschlagen.
Rachel hatte geduldig gesucht, bis sie endlich den richtigen Zufluchtsort fand. Dieses Mönchsversteck lag weit unten in einem seit langem nicht mehr benutzten Teil der unterirdischen Anlagen des Hochhorsts und hatte sich als hervorragend geeignet erwiesen. Inzwischen verfügte es dank ihrer unermüdlichen Jagdausflüge über eine Speisekammer, um die sie im geplagten Erkynland so mancher Edelmann beneidet hätte. Zusätzlich war sie ein paar Treppen weiter oben auf einen anderen unbenutzten Raum gestoßen, der zwar nicht so gut verborgen war, dafür aber einen schmalen Fensterschlitz aufwies. Unmittelbar darüber mündete das Abflussrohr von einer der steinernen Dachrinnen des Hochhorsts. Rachel hatte in ihrer Zelle bereits ein volles Wasserfass, und solange Schnee und Regen anhielten, konnte sie dort jeden Tag noch einen Eimer füllen und brauchte ihren kostbaren Trinkwasserschatz nicht einmal anzurühren.
Sie hatte außerdem Kleidung zum Wechseln und mehrere warme Decken sowie einen Strohsack angeschleppt und sich sogar einen Stuhl zum Sitzen besorgt, ein hochelegantes Stück, das sie immer wieder staunend betrachtete – mit einer Rückenlehne! Sie besaß Holz für den winzigen Kamin, und an den Wänden waren so viele Reihen von Krügen und Töpfen mit eingepökeltem Gemüse und Fleisch und so viele Pakete mit hartgebackenem Brot aufgestapelt, dass sie von der Tür kaum noch zu ihrem Lager kam. Aber das war die Sache wert. Rachel wusste, dass sie es mit so viel Proviant in dem versteckten Raum fast ein Jahr aushalten konnte. Was geschehen würde, wenn die Vorräte erschöpft waren, und welches Ereignis ihr ermöglichen würde, die Höhle zu verlassen und sich ans Tageslichtzurückzubegeben, davon hatte sie keine rechte Vorstellung … und konnte sich jetzt auch nicht den Kopf darüber zerbrechen. Sie würde die Zeit damit verbringen, auf ihre Sicherheit zu achten, ihr Nest sauberzuhalten und alles Weitere abzuwarten. Das war ihr von Kindesbeinen an eingedrillt worden: Tu dein Bestes und überlass Gott das Übrige.
Neuerdings beschäftigte sie sich in Gedanken viel mit ihrer Jugend. Die ständige Einsamkeit und Heimlichtuerei ihres täglichen Lebens hatten zur Folge, dass sie viel Zeit zum Nachdenken hatte. Wenn sie Unterhaltung und Trost suchte, blieben ihr nur die Erinnerungen. Es waren ihr Dinge eingefallen – eine Ädonmansa, bei der man befürchtet hatte, ihr Vater habe sich im Schnee verirrt, eine Strohpuppe, die ihre Schwester ihr gebastelt hatte –, an die sie seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Wie die Lebensmittel, die in der salzigen Dunkelheit der Krüge schwammen, warteten auch die Erinnerungen nur darauf, von ihr hervorgeholt zu werden.
Rachel schob den letzten Krug ein Stückchen nach hinten, sodass jetzt alle eine gleichmäßige Reihe bildeten. Auch wenn die Burg allmählich verrottete, hier in ihrem sicheren Hafen sollte alles seine Ordnung haben. Nur noch einen Gang, dachte sie. Dann kann ich endlich ausruhen.
Die Oberste der Kammerfrauen stand oben auf der Treppe und wollte gerade nach der Tür greifen, als sie plötzlich von einer Woge unendlicher Kälte erfasst wurde. Auf der anderen Seite der Tür näherten sich Schritte, ein stumpfes, tickendes Geräusch wie Wasser, das auf Stein tropft. Es kam jemand. Man würde sie finden!
Ihr Herz klopfte so schnell, als wollte es ihr aus der Brust springen. Wie in einem Alptraum konnte sie kein Glied regen.
Beweg dich, Dummkopf, beweg dich!
Die Schritte wurden lauter. Endlich gelang es Rachel, ihre Hand zurückzuziehen. Als sie begriff, dass sie doch zu einer Bewegung imstande war, zwang sie sich, ein paar Stufen hinabzusteigen. Wild blickte sie sich um. Wohin jetzt nur, wohin? Sie saß in der Falle.
Immer weiter wich sie zurück. Die Stufen waren glatt. Dort, wo die Treppe um die Ecke führte, gab es einen Treppenabsatz, ganzähnlich jenem, auf dem sich ihr neues Heim befand. Auch hier hing als Schmuck ein muffiger, zerschlissener Teppich an der Wand. Sie griff danach, aber der schwere, staubverkrustete Stoff leistete Widerstand. Sicher war es zu viel erwartet, wenn sie dahinter einen weiteren verborgenen Raum erwartete, aber zumindest konnte sie sich flach an die Wand pressen und hoffen, dass derjenige, der oben gerade die Tür öffnete, kurzsichtig war oder es eilig hatte.
Aber da war eine Tür! Rachel fragte
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