Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
Gebilde. Fast hätte man es ein zum Spott erbautes Zerrbild von Haindorf nennen können, denn es war wie dieses unverkennbar ein Wohnort für viele. Aber im Gegensatz zu dem Dorf, das sofort als Bauwerk von Menschenhand kenntlich war, konnte diese windschiefe Anhäufung von Schlamm, Blättern und Ästen, obwohl sie sich vom Uferrand viele Mannslängen weit in die Bäume hinein und am Ufer anscheinend über eine Achtelmeile in die Länge erstreckte, nicht von Menschen erbaut sein. Ein summendes, klickendes Geräusch ging von dem Gebilde aus und legte sich über das Wran, eine große Lärmwolke wie von einem Grillenheer, das in einem hochgewölbten Raum voller Echos zirpt. Einige der Erbauer des Riesennests waren selbst von der anderen Seite des breiten Kanals deutlich sichtbar. Sie bewegten sich in ihrer eigentümlichen Weise, ließen sich behende von einem Aststumpf auf einen tieferen fallen und huschten eilig zu den schwarzen Toren des Nestes hinein und wieder hinaus.
Miriamel empfand Entsetzen, aber auch eine gewisse angewiderte Faszination. Ein einzelner Ghant war bereits beunruhigend gewesen. Nach dem Umfang dieser Behausung zweifelte sie nicht daran, dass sich in dem Haufen aus Erde und Stöcken Hunderte der scheußlichen Kreaturen aufhielten.
»Mutter des Usires!«, zischte Isgrimnur. Er wendete das Boot und stakte, so schnell er konnte, zurück, bis die Biegung sie wieder vor dem erschreckenden Anblick schützte. »Was für ein Höllending ist das?«
Miriamel wand sich in der Erinnerung an die höhnischen Augen, die ihr beim Baden zugesehen hatten, kohlschwarze Punkte, die sich in einem unmenschlichen Gesicht drehten. »Das sind die Ghants, von denen Tiamak uns erzählt hat.«
Der kranke Wranna, der in erstarrtes Schweigen verfallen war, als das Nest in Sicht kam, fing an, mit den Händen herumzufuchteln. »Tiamak!«, krächzte er heiser. »Tiamak nib dunou yia ghanta!« Erdeutete auf die Stelle, an der, durch einen Wall aus Laubwerk vor ihnen verborgen, das Nest lag. Miriamel brauchte kein Wranna zu sprechen, um zu verstehen, was der Fremde meinte.
»Tiamak ist da drin. Gott steh ihm bei, er ist in dem Nest. Die Ghants haben ihn!«
14
Dunkle Gänge
ie Treppe war steil und der Sack schwer, aber trotzdem empfand Rachel ein gewisses Vergnügen. Noch einen Gang – nur noch einmal würde sie sich in die spukhaften oberen Räume der Burg wagen müssen –, dann hatte sie es geschafft.
Gleich hinter dem dunklen Treppenabsatz, auf halber Höhe der Stufen, blieb sie stehen und setzte ihre Last ab. Dabei achtete sie sorgfältig darauf, dass die Krüge nicht klirrten. Den Eingang verdeckte ein Vorhang, von dem Rachel der Drache überzeugt war, es müsse sich um den ältesten, verstaubtesten Wandteppich der ganzen Burg handeln. Daran, dass sie ihn jeden Tag berührte und nicht saubermachte, konnte man ermessen, wie ungeheuer wichtig es für sie war, dass ihr Versteck unbemerkt blieb. Jedes Mal, wenn sie ihre Hand auf den verrottenden Stoff legen musste, krampfte sich ihr Herz zusammen, aber es gab Umstände, unter denen selbst die Reinlichkeit zurückstehen musste. Rachel verzog das Gesicht. Schlechte Zeiten verderben die guten Sitten, hatte ihre Mutter immer gesagt. Und wenn das nicht Ädons heilige Wahrheit war, was dann?
Rachel hatte die uralten Angeln mit größter Umsicht geölt. Als sie den Vorhang hob und auf die Klinke drückte, schwang die dahinterliegende Tür fast lautlos nach innen. Sie hob den Sack über die niedrige Schwelle und ließ dann den schweren Wandteppich zurückfallen, sodass die Tür wieder versteckt war. Dann entfernte sie den Blendschirm von ihrer Lampe, stellte sie in eine hochgelegene Wandnische und machte sich ans Auspacken. Als der letzte Krug aus dem Sack geholt war und Rachel mit einem in Lampenruß getauchten Strohhalm ein Bild des Inhalts daraufgemalt hatte, trat sie zurück und musterte ihre Vorratskammer. Sie hatte in den letzten Monatenhart gearbeitet und sich oft selbst über die Kühnheit ihrer Raubzüge gewundert. Jetzt fehlte ihr nur noch der Sack mit Dörrobst, den sie auf ihrem heutigen Beutegang erspäht hatte. Dann konnte sie hier unten den ganzen Winter überstehen, ohne zu riskieren, dass man sie ertappte. Sie brauchte diesen Sack. Mangel an Obst würde zu Verstopfung, wenn nicht zu Schlimmerem führen, und sie konnte es sich nicht leisten, krank zu werden, wenn es niemanden gab, der sie pflegen konnte. Sie hatte alles sehr sorgfältig geplant. In der ganzen
Weitere Kostenlose Bücher