Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
die gefrorene Erde aufzukratzen, so hatte die Kälte doch auch die Verwesung verzögert und ihnen die grausige Arbeit geringfügig erleichtert. Trotzdem war Simon in den beiden letzten Nächten von Alpträumen heimgesucht worden, von endlosen Visionen steifgefrorener, in Gräben liegender Körper, starr wie Statuen, verkrümmter, wie von einem wahnsinnigen, von Schmerz und Leid besessenen Bildhauer gemeißelter Gestalten.
Der Lohn des Krieges, dachte Simon, während er durch die lärmende Menge streifte. Und wenn Josua Erfolg hatte, würden dienoch bevorstehenden Schlachten diese hier aussehen lassen wie einen Yrmansol-Tanz. Die Leichen würden sich höher stapeln als der Engelsturm.
Bei dem Gedanken wurde ihm kalt und übel. Er machte sich auf die Suche nach mehr Wein.
Das Fest kam ihm insgesamt ein wenig zu überschäumend vor. Stimmen waren zu laut, Lachen kam zu schnell, als ob die Menschen und Trolle, die plapperten und fröhlich waren, mehr für andere feierten als für sich selbst. Mit dem Wein kamen die Schlägereien, etwas, von dem Simon geglaubt hätte, es sei das Letzte, wonach jemand noch Verlangen haben könnte. Aber er kam mehrfach an Gruppen von Leuten vorbei, die sich um zwei oder mehr fluchende, grölende Männer scharten und die sich im Schlamm wälzenden Kämpfer anfeuerten oder verhöhnten. Wer nicht lachte, machte ein verstörtes oder unglückliches Gesicht.
Sie wissen, dass wir noch nicht gerettet sind, dachte Simon und ärgerte sich über seine eigene Missstimmung in dieser Nacht, die doch so wundervoll hätte sein können. Sie sind glücklich, weil sie am Leben sind, aber sie wissen, dass ihre Zukunft noch viel schlimmer aussehen kann.
Er wanderte weiter. Wenn man ihm einen Becher anbot, nahm er ihn. Eine Weile blieb er beim Abschiedshaus stehen und schaute Sludig und Hotvig beim Ringkampf zu, einem freundlicheren Wettstreit, als er ihn anderswo gesehen hatte. Der Nordmann und der Thrithingreiter hatten den Oberkörper entblößt und gingen grimmig aufeinander los. Jeder versuchte, den anderen aus einem durch ein Seil markierten Kreis hinauszudrängen. Aber sie lachten beide dabei, und als sie eine Ruhepause einlegten, teilten sie den Weinschlauch. Simon rief ihnen einen Gruß zu.
Dann zog er weiter. Er fühlte sich wie eine einsame Möwe, die den Mast einer Vergnügungsbarke umkreist.
Simon wusste nicht genau, wie spät es war, ob erst eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit oder schon fast Mitternacht. Irgendwann nach dem sechsten Becher Wein hatte die Welt ihre festen Konturen verloren.
Allerdings schien gerade jetzt die Zeit nicht mehr so wichtig zusein. Wichtig war nur das Mädchen, das neben ihm ging. Das Licht des verglühenden großen Feuers spielte glänzend in ihrem dunklen Lockenhaar. Sie hieß Ulca. Als sie stolperte, legte er den Arm um sie und staunte, wie warm ein Körper sich selbst durch so dicke Kleidung anfühlen konnte.
»Wohin gehen wir eigentlich?«, fragte sie und lachte. Sie schien sich keine allzu großen Sorgen über ihr mögliches Ziel zu machen.
»Wir gehen …«, antwortete Simon und machte eine kurze Pause, »hierhin und dorthin.«
Der Festlärm hinter ihnen war zu einem dumpfen Dröhnen geworden, und Simon konnte fast glauben, wieder im Tosen der Schlacht zu stehen, dort unten auf dem gefrorenen See, der glitschig war vom Blut …
Seine Nackenhaare sträubten sich. Warum musste er auch an so etwas denken! Er stöhnte angewidert auf.
»Was ist?« Ulca schwankte, aber ihre Augen glänzten. Sie hatte den Weinschlauch, den Sangfugol ihm gegeben hatte, mit Simon geteilt und schien eine natürliche Begabung für das Weintrinken zu besitzen. Offenbar vertrug sie ihn bestens.
»Nichts«, erwiderte Simon schroff. »Hab nur nachgedacht. Über den Kampf. Die Schlacht, über das Kämpfen.«
»Es muss … grausig gewesen sein.« Ihre Stimme klang verwundert. »Wir haben zugeschaut, Welma und ich. Wir haben geweint.«
Simon warf ihr einen verwirrten Blick zu. »Welmerlich? Was heißt das?«
»Welma und ich – meine Freundin, die Schlanke. Ihr kennt sie doch.« Ulca drückte seinen Arm.
»Oh.« Er sann über das gerade geführte Gespräch nach. Wovon hatten sie doch gleich geredet? Ach ja. Die Schlacht. »Es war grauenhaft. Blut. Tote Leute.« Er suchte nach einem Ausdruck, der alles zusammenfasste und dieser jungen Frau klarmachte, was er, Simon, erduldet hatte. »Das Allerschlimmste«, verkündete er mit schwerer Zunge.
»Ach, Herr Seoman!«, rief sie,
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