Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
zerfleischt hatten. Tausend andere hatten ihre Heimat verloren, waren zu Waisen geworden, gefoltert, getötet. In jähem Zorn fing Simon an zu schwanken, als wollte der Ansturm seiner eigenen Wut ihn umwerfen. Wenn es überhaupt eine Gerechtigkeit gab, dann würde jemand für all das bezahlen – für Morgenes und Haestan, für das, was Leleth angetan worden war, und den Kummer, den Jeremias mit sich herumtrug, und seinen eigenen.
Usires sei mir gnädig, denn ich würde sie alle umbringen, wenn ich könnte. Elias und Pryrates und ihre weißgesichtigen Nornen. Wenn ich nur könnte, würde ich sie mit eigenen Händen erwürgen.
»Ich habe sie auf der Burg gesehen«, bemerkte Jeremias. Erschrocken blickte Simon auf. Er hatte die Fäuste so fest geballt, dass ihm die Knöchel wehtaten. »Was?«
»Leleth.« Jeremias nickte dem Kind zu, das über das überflutete Tal hinausschaute und sich dabei mit der Hand im schmutzigen Gesicht herumschmierte. »Als sie Prinzessin Miriamels kleine Dienerin war … Ich weiß noch, dass ich dachte: ›Was für ein niedliches kleines Mädchen.‹ Sie war ganz weiß angezogen und trug Blumen in der Hand. Ich fand, sie sah so sauber aus.« Er lachte leise. »Und schau sie dir jetzt an.«
Simon hatte auf einmal keine Lust mehr, von traurigen Dingen zu reden. »Sieh dich doch selber an«, erwiderte er. »Du hast es nötig, von Sauberkeit zu sprechen.«
Jeremias ließ sich nicht ablenken. »Hast du sie wirklich gekannt, Simon, die Prinzessin, meine ich?«
»Ja.« Simon war nicht bereit, Jeremias die Geschichte noch einmal zu erzählen. Er war bitter enttäuscht gewesen, Miriamel nicht bei Josua zu finden, und entsetzt, dass niemand wusste, was aus ihr geworden war. Er hatte davon geträumt, ihr seine Abenteuer zu erzählen, davon, wie ihre strahlenden Augen groß werden würden, wenn er ihr vom Drachen berichtete. »Ja«, wiederholte er, »ich habe sie gekannt.«
»Und war sie auch so schön, wie eine Prinzessin sein soll?«, fragte Jeremias plötzlich gespannt.
»Ich glaube schon.« Simon wollte nicht darüber sprechen. »Doch, das war sie – ich meine, das ist sie.«
Jeremias wollte gerade weiterfragen, als er unterbrochen wurde. »Ho!«, rief eine Stimme von oben. »Da steckt ihr!«
Eine merkwürdige, zweiköpfige Gestalt sah von dem Steinpfeiler zu ihnen hinunter. Einer der beiden Köpfe hatte spitze Ohren.
»Wir wollen herausfinden, woher die Quelle kommt und wohin sie geht, Binabik«, erklärte Simon.
Die Wölfin legte den Kopf schräg und bellte.
»Qantaqa denkt, dass ihr euer Folgt-dem-Wasser-Spiel für jetzt beenden sollt, Simon. Außerdem hat Prinz Josua alle gebeten, in das Haus des Abschieds zurückzukehren. Es gibt viel zu besprechen.«
»Wir kommen.«
Simon und Jeremias ergriffen jeder eine von Leleths kleinen, kalten Händen, und alle drei kletterten wieder hinauf zum Bergkamm. Die Sonne starrte auf sie herab wie ein einziges milchiges Auge.
Sie waren wieder im Haus des Abschieds zusammengekommen und unterhielten sich leise, vielleicht eingeschüchtert von der Größe und den eigenartigen Dimensionen der Halle, die weit beunruhigender wirkte, wenn sie nicht wie am Abend zuvor von einer Menge Feiernder erfüllt war. Das matte Nachmittagslicht sickerte durch die Fenster, war jedoch so schwach, dass es aus keiner bestimmten Richtung zu kommen schien und dem Raum eine gleichmäßige trübe Helligkeit verlieh. Die kunstvollen Wandreliefs glänzten, als beleuchte sie ein eigenes, mildes, von innen kommendes Licht. Sie erinnerten Simon an das schimmernde Moos in den Tunneln unter dem Hochhorst. Dort hatte er sich in erstickender, würgender Schwärze verirrt. Er war an einem Ort der abgrundtiefen Verzweiflung gewesen, und es musste eine Bedeutung haben, dass er überlebt hatte. Sicher war er aus einem ganz bestimmten Grund verschont worden.
Bitte, Herr Ädon, betete er, lass mich nicht so weit gekommen sein, damit ich jetzt sterbe!
Aber er hatte Gott bereits verflucht, weil er Haestan hatte umkommen lassen. Bestimmt war es zu spät, das jetzt noch wiedergutzumachen.
Simon öffnete die Augen und stellte fest, dass Josua gekommen war. Der Prinz war bei Vara gewesen und versicherte allen, es gehe ihr besser.
In seiner Begleitung befanden sich zwei Männer, die morgens nicht dabei gewesen waren. Sludig, der den Außenrand des Tals erkundet hatte, und ein vierschrötiger junger Falshiremann namens Freosel, den die Siedler zum Hauptmann von Neu-Gadrinsett gewählt hatten.
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