Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
»Cadrach?«
Noch immer keine Antwort. Sie schlängelte sich vorsichtig durch die schiefen Vorratsstapel. Der Mönch war an der Wand zusammengesunken und lag am Boden, den Kopf auf der Brust. Sie packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn, dass die Zähne klapperten.
»Wacht auf, Cadrach!« Er stöhnte, wurde aber nicht wach.
Sie rüttelte stärker.
»Ach, ihr Götter«, lallte der Mönch, »das smearech fleann … das verfluchte Buch …« Er schlug um sich wie in einem furchtbaren Alptraum. »Schlag es zu! Schlag es zu! Ich wünschte, ich hätte es nie geöffnet …« Seine Worte gingen in unverständliches Gemurmel über.
»Wacht auf, verfluchter Kerl!«, zischte die Prinzessin.
Endlich öffneten sich seine Augen. »Herrin?« Seine Verwirrung war erbarmungswürdig. Ein Teil seiner Leibesfülle war in der Gefangenschaft dahingeschmolzen. Die Haut hing lose um seine Gesichtsknochen, und die Augen starrten trübe aus tiefen Höhlen. Er sah aus wie ein alter Mann. Miriamel nahm, ohne zu zögern, seine Hand und wunderte sich selbst darüber. War das nicht derselbe Trunkenbold, den sie in der Bucht von Emettin ins Wasser gestoßen hatte, in deraufrichtigen Hoffnung, er würde ertrinken? Aber sie wusste, dass es ein anderer Cadrach war, der da vor ihr lag – ein armseliges Geschöpf, das man angekettet und geschlagen hatte, nicht für ein wirkliches Verbrechen, sondern nur, weil es weggelaufen war und versucht hatte, sein Leben zu retten. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte ihn damals begleitet. Der Mönch tat ihr leid, und sie erinnerte sich daran, dass er auch gute Seiten gehabt und sich in mancher Beziehung sogar als ihr Freund erwiesen hatte.
Plötzlich schämte sie sich. Sie war ihrer Sache immer so sicher gewesen, hatte so genau gewusst, was richtig und was falsch war, dass sie ihn damals wirklich ertrinken lassen wollte. Es fiel ihr schwer, Cadrach jetzt anzusehen, seine wunden, angstvollen Augen, den wackelnden Kopf über der fleckigen Kutte. Sie drückte seine kalten Finger und flüsterte: »Habt keine Angst! Ich bin gleich wieder zurück.« Dann ergriff sie die Kerze und machte sich zwischen den aufgeschichteten Fässern auf die Suche nach dem Werkzeug. Während über ihr Schritte stampften, spähte sie nach verblassten Markierungen. Abrupt fing das Schiff an zu schlingern und ächzte unter den ersten Sturmböen. Endlich entdeckte sie ein Fass mit der Aufschrift »Otillenaes«. Als sie auch noch ein Stemmeisen gefunden hatte, das in der Nähe der Leiter hing, sprengte sie den Deckel ab. Das Fass enthielt einen wahren Schatz von Werkzeugen, alle sorgfältig in Leder verpackt und wie exotische Vögel für die Abendtafel in Öl schwimmend. Miriamel biss sich auf die Lippen und zwang sich, mit Ruhe und Sorgfalt vorzugehen. Eines nach dem anderen packte sie die triefenden Pakete aus, bis sie einen Meißel und einen schweren Hammer fand. Sie wischte sie an der Innenseite ihres Mantels ab und schleppte sie zu Cadrach hinüber.
»Was tut Ihr da, Herrin? Wollt Ihr mir die Gunst eines Schlags mit diesem Schweineschlächter da erweisen?«
Miriamel krauste die Stirn und befestigte mit heißem Wachs ihre Kerze am Boden. »Seid kein Narr. Ich will Eure Ketten sprengen. Gan Itai verhilft uns zur Flucht.«
Der Mönch starrte sie einen Moment aus überraschend eindringlichen grauen Augen an. Seine Tränensäcke waren geschwollen. »Ihr müsst wissen, dass ich nicht laufen kann, Miriamel.«
»Notfalls werde ich Euch tragen. Aber wir brechen erst heute Nacht auf. Inzwischen könnt Ihr wieder etwas Leben in Eure Beine bringen. Vielleicht ist es Euch sogar möglich, aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen, wenn Ihr keinen Lärm dabei macht.« Sie zog an der Kette, die seine Knöchel verband.
»Die werde ich wohl an beiden Seiten abschlagen müssen, damit Ihr beim Gehen nicht scheppert wie ein Kesselflicker.« Cadrach gelang es, sie anzulächeln.
Die lange Kette zwischen seinen Beinen lief durch eine der Ösen am Boden des Laderaums. Miriamel zog eine Seite fest an und setzte die scharfe Klinge des Meißels auf das nächste Glied nach dem Ring. »Könnt Ihr den Meißel halten?«, fragte sie. »Dann kann ich den Hammer mit beiden Händen schwingen.«
Der Mönch nickte und packte den Eisendorn. Miriamel wog den Hammer ein paarmal in der Hand, um ein Gefühl dafür zu bekommen, und hob ihn dann über ihren Kopf.
»Ihr seht aus wie Deanagha von den braunen Augen«, flüsterte Cadrach.
Miriamel horchte auf das
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