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Das Geheimnis der Haarnadel

Das Geheimnis der Haarnadel

Titel: Das Geheimnis der Haarnadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fitzgerald Heard
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begeistert, daß wir uns über eine solche Melange amüsieren konnten, die jene klugen Besucher, die wir gelegentlich von Bloomsbury mit herüberbrachten, damit sie uns sehen und ihren Abscheu zum Ausdruck bringen konnten und dadurch unser Gefühl der Überlegenheit noch weiter untermauerten, als schlichtweg schlechter Geschmack verblüffte und schockierte. Barock und Rokoko, das war nichts für uns, wir hielten uns an den neusten Gothic Revival oder ans >Jakobethanische<. Wir kauften Alma-Tadema statt Bildern von Dali. Unsere Vorzeigestücke waren Replikate der Erwachenden Seele< von Sant und von >Des Doktors Ratschluß< von Sir Luke Fildes, die unsere Wände zierten, nicht Modigliani-Akte und zierliche Duncan Grants. Wir schockierten selbst die, die schockieren wollten. Sie hatten zumindest ihre neueste blutarme, manierierte Kunst, die sie vergötterten. Wir vergötterten nichts, wir behandelten die Kunst mit derselben amüsierten Verachtung und demselben Hohn, mit denen wir die Religion abtaten. >Das Groteske in allem zu entdecken, das ist das Geheimnis des Lebens<, lautete eines unserer Motti. Wir dachten, es gäbe nichts, was wir nicht mit einem Lachen übertrumpfen konnten.«
    Der jüngere Mr. M. blickte auf und hielt inne. Der ältere lächelte leise. Doch mittlerweile fand ich diese Einleitung, nun wo sie immer weiter ausuferte, ein wenig zu weitschweifig. Der Humor bekam langsam einen etwas unangenehmen Ton. Ein Unterton von, man möchte fast sagen, Wahnsinn schlich sich nun unverkennbar ein und machte sich überall breit. Es war eine üble Ahnung, die sich im Laufe von Mr. Miliums Erzählung nur allzusehr bewahrheiten sollte.
    »Wie es bei solchen Grüppchen üblich ist«, fuhr er fort, »stellten wir fest, daß jeder des anderen >moralische Unterstützung< nötig hatte – so sehr wir uns auch dafür verachtet hätten, eine solche Schwäche einzugestehen. Tatsache ist, daß wir entsprechend handelten. Wir richteten uns unsere Gesellschaft als etwas ausgesprochen Exklusives und Kategorisches ein. Es gab vier Regeln: jeder mußte mindestens vier Sprachen sprechen; er durfte kein Vorurteil kennen; er mußte perfekte Manieren haben; und zum vierten mußte er einen Geschmack haben, der durch nichts zu schockieren war. Alles in allem setzten wir wohl auch um, was wir in diesen merkwürdigen vier Glaubenssätzen predigten. Wir waren wohlhabend – fast alle Einzelkinder, bei den meisten die Eltern gestorben: entwurzelte Gestalten, die im Grunde kaum etwas von der Welt begriffen, und das bei einem beinahe übermäßig entwickelten Verstand. Natürlich langweilten wir uns, wir langweilten uns zu Tode. Ja, um das andere alte Klischee anzubringen, wir waren im wahrsten Sinne des Wortes den Tränen nah vor Langeweile, wenn wir für uns allein waren. Wir kannten keine Grenzen im Emotionalen, keine finanziellen Beschränkungen. Wir wußten kaum etwas von unserer Herkunft, unserem Ursprung, wir hatten keinerlei Lebensinhalt und nicht das geringste Ziel.
    Und so, um einen Autor zu zitieren, den Sie vorhin erwähnten und der (was immer man von seinen schriftstellerischen Qualitäten halten mag) gewiß befolgte, was er sagte: >Wer täte kund, in welchen Höllenschlund die Seele schutzlos strauchelte.<
    Wenn ich mit meiner Erzählung am Ende bin, Mr. Mycroft, dann werde ich Ihnen den Beweis für die Wahrheit dieses Verses erbracht haben, wenn auch ohne die Eleganz des Reimes. Und natürlich«, fuhr Milium mit einem Seufzen fort, »erschöpften wir, da wir uns langweilten, die Atmosphäre unserer eigenen Umgebung bald mehr, als sie durch das wenige, das wir selbst an Vitalität besaßen, bereichert werden konnte. Nicht daß wir uns geschont hätten, und von geistiger Hygiene – von körperlicher übrigens ebenso – wußten wir ungefähr so viel, wie die meisten Slumbewohner.
    Das einzige, was wir genießen konnten, das brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, war unser Geschlechtsleben, auch wenn es sich stets als eine weitere Manifestation eines lächerlich schlechten Geschmackes darstellte. Auch dieses mußte zu der Kunst passen, die wir als Rohmaterial für jenes verächtliche Leben sammelten, das unser einziger Lebensinhalt war. Unser Gefühl der Überlegenheit (ohne das wir in uns zusammengesunken wären) beruhte ausschließlich darauf, daß wir jede auch nur erdenkliche Emotion auslachen konnten, so erhaben sie sein mochte oder so gemein – und dabei immer darauf achteten, daß andere nicht über uns lachen konnten,

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