Das Geheimnis der Hebamme
was ich tun kann«, sagte ihr Schwager nach einem tiefen Atemzug. »Aber ich hoffe, Ihr wisst, was Ihr da tut, und ich hoffe, dass Eure Nachricht wirklich wichtig ist.«
Nachdem Marthe den kleinen Dietrich wieder zur Kinderfrau gebracht hatte, die sie mit giftigem Blick dafür bedachte, dass sie an ihrer Stelle den Kaiser sehen durfte, ging Marthe in ihre Unterkunft, um die fremden Sachen auszuziehen und wieder in ihr einfaches Kleid zu schlüpfen. Sie hatte Hedwig nicht finden können, so nutzte sie die Ruhe, um über die Ereignisse im Audienzsaal nachzudenken.
Es dauerte nicht lange, bis Susanne hereinkam. »Komm, wir werden gerade nicht benötigt. Lass uns zu den Ständen der Händler gehen und schauen, ob wir etwas Schönes entdecken! Ich habe gesagt, dass du neue Arzneien brauchst, und die Erlaubnis erhalten.«
Sie wartete erst gar nicht Marthes Antwort ab, sondern zog sie mit sich nach draußen, wo rund um die Residenz und die Zelte der zum Hoftag angereisten Gäste unzählige Händler ihre Stände aufgebaut hatten.
Diesmal war Marthe froh über die Abwechslung, denn inzwischen machte sie sich große Sorgen darüber, was sie Hedwig berichten sollte. Die äußeren Eindrücke waren zu übermächtig. Und Christians abweisendes Verhalten ängstigte sie so sehr, dass ihre Gedanken ständig darum kreisten statt um Hedwigs Auftrag.
Außerdem besaß sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein wenig Geld. Der Waffenmeister und eine der Hofdamen hatten sie unterwegs mit kleinen Münzen bezahlt. Marthe hatte die Kammerfrau von einem üblen Ausschlag im Gesicht befreit; der Waffenmeister hatte sie auf dem Weg nach Würzburg eines Abends gebeten, nach einer Wunde zu sehen, die nicht verheilen wollte. Bei der Gelegenheit hatte sie ihm auch angeboten, die Schmerzen in seinen von der Gicht gekrümmten Händen zu lindern. Nach einigem Knurren hatte Arnulf eingewilligt und bald vor Behagen aufgestöhnt, als sie seine gewaltigen, knotigen Pranken sanft massierte und mit wohltuendem Öl einrieb.
Vielleicht konnte sie nun von dem Geld ein paar Sämereien für ihren Kräutergarten und eine Kleinigkeit für Johanna und Marie erstehen.
Arm in Arm mit Susanne drängte sie sich durch die lärmenden Menschenmassen. Dabei gingen ihr die Sinne über angesichts all dessen, was die Händler lauthals feilboten.
Der Stand eines Bäckers verströmte einen so betörenden Duft, dass sie am liebsten eines der Kuchenstücke gekauft hätte. Aber sie beherrschte sich. Sie wusste nicht, wie viel sie für ihr Geld bekommen konnte, und wollte es so gut wie möglich anlegen.
»Schau mal – ein Spielmann!«, rief Susanne und lief schon in die Richtung, in der das Gedränge besonders dicht war. Als sie nahe genug waren, um in all dem Lärm etwas von dem Gesangzu verstehen, kam Marthe das Lied bekannt vor. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und wurde ganz aufgeregt. »Das ist Ludmillus! Wir haben ihn auf dem Weg zum Dunklen Wald kennen gelernt«, rief sie Susanne zu.
»Ludmillus? Wirklich? Der Spielmann, von dem die Leute sagen, dass er Lachende zum Weinen und Weinende zum Lachen bringen kann?«, fragte ihre Freundin staunend.
Die beiden jungen Frauen drängelten sich entschlossen nach vorne und missachteten die wütenden Rufe derjenigen, die sie beiseite schubsten. »Mach selber Platz, Fettsack«, rief Susanne einem feisten alten Mann zu, der sie mit einer wüsten Beschimpfung bedacht hatte.
Ludmillus beendete gerade sein Lied, verbeugte sich schwungvoll vor dem Publikum und ließ seine junge rothaarige Frau mit einer Kappe umhergehen, in die mehrere Leute Geld warfen. Sie stutzte kurz bei Marthes Anblick, dann erkannte sie sie und zwinkerte ihr freundlich zu.
Fast im gleichen Moment hatte auch Ludmillus sie entdeckt und ging auf sie zu.
»Meine Sonne! Was führt ausgerechnet dich an den Hoftag des Kaisers?«, fragte er überrascht und küsste ihr einmal mehr mit übertriebener Höflichkeit die Hand.
»Das Schicksal treibt uns manchmal an die sonderbarsten Orte«, entgegnete Marthe lächelnd. »Wie geht es euch? Und eurer kleinen Tochter? Wo ist Hilarius?«
»Alles zu seiner Zeit, meine Schöne! Ich darf das Publikum nicht warten lassen. Solange die Sonne noch scheint, ist dieser Platz voller freigebiger Zuhörer mit prallen Geldbörsen. Wenn du willst, komm uns nachher im Schwarzen Eber besuchen.«
»Ich muss fragen, ob ich dazu die Erlaubnis bekomme«, antwortete Marthe, der nun nicht nur wegen des Wiedersehens leichter ums Herz war.
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